Hallo Ihr lieben,
ich bin Sarah, 33, und habe Lipödem.
In meinem Alltag muss das Lipödem mit mir klarkommen, da ich mich von ihm nicht fertig machen lasse 😉
Bislang kam ich mit Kompression, Lymphdrainage, Ernährung und Sport im Alltag gut zurecht und hatte wenig bis keine Schmerzen.
Was mir allerdings oft auffällt, ist, wie schnell meine Beine kalt werden und wie lange sie brauchen, um wieder warm zu werden.
Als es am 19.01.2023 das erste Mal richtig schneite und auch die Nacht davor bereits geschneit hatte, stieß ich das erste Mal überhaupt an meine Grenzen. Lest selbst.
Als ich aus dem Fenster schaute und den Schnee sah, freute ich mich sogar, denn ich mag Schnee. Wie jeden Morgen hüpfte ich in meine Kompri-Strumpfhose von Juzo und dazu ein kuscheliges Kleid mit Rollkragen. Da ich es nicht allzu weit zur Arbeit hatte (leider muss ich trotz der kurzen Strecke einmal umsteigen, da kein Bus direkt durchfährt) ging ich davon aus, dass es so in Ordnung sei.
Ich genoss die ersten Schritte durch den Schnee, jeder Schritt knirschte so schön und die Flocken fielen kalt und feucht in mein Gesicht und blieben in den Haarspitzen hängen. Kalt war mir zunächst nicht in meiner dicken Winterjacke – bis ich an der Haltestelle ankam.
Ich hatte bereits Busse fahren sehen und nahm an, alles fährt. Die Straßen sahen nun auch nicht allzu schlimm zugeschneit aus. Tja. MEIN Bus fuhr nicht 🙂 letzten Endes hatte man bei uns in der Gegend nicht gestreut, wodurch es unter dem Schnee glatt war und der Bus nicht den Berg hinauf in unser Dorf fuhr (ich wohne recht ruhig und ländlich).
So kam es, dass ich bereits knapp 40 Minuten wartend an der Haltestelle zubrachte und anfing zu frieren und letzten Endes einen anderen Bus nehmen musste, der als einziger fuhr und mich ebenso an mein Ziel brachte. Durch eine andere Strecke ist dieser aber wesentlich länger unterwegs, weshalb ich ihn normalerweise nicht nehme – obwohl er definitiv die landschaftlich schönere Strecke zum gemütlichen Aus-Dem-Fenster-Schauen hatte 😉
bereits frierend kam ich also an meinem Umsteigebahnhof an. Dort lag auf der Straße nun nahezu gar kein Schnee mehr und es schien auch gestreut zu sein. Trotzdem kam mein Bus, welcher mich letzten Endes zur Arbeit bringen sollte, nicht und viele Menschen inkl. mir warteten frierend. Ich rief meinen bereits berenteten Schwiegervater an, doch leider konnte er mich nicht zur Arbeit fahren, da er noch einen Nebenjob machte und selbst in der Arbeit war.
Mein Umsteigebus fiel auch aus. Ein Taxi war weit und breit nicht zu finden, obwohl dort sonst meist das ein oder andere Taxi stand.
Da ich es nun definitiv nicht mehr pünktlich zur Arbeit schaffen würde, rief ich auf der Arbeit an. Mein Kollege und Büroleiter (ich arbeite im Reisebüro, einem kleinen 3-Mann-Büro und meist sind wir zu zweit vor Ort) wusste Bescheid. Er war zwar freundlich, regte aber an, dass ich ja von dem Bahnhof aus, an welchem ich stand, auch laufen könne.
Theoretisch hat er Recht, man wäre in etwa 30 bis 40 Min fußläufig auf der Arbeit von dort aus.
Mein Problem war, dass meine Beine inzwischen einzige Eisklötze waren und meinen Zehen und Füßen ging es nicht besser, sie fühlten sich bereits leicht steif an.
Bei diesem Wetter in dieser Kälte spürte ich nun das erste Mal, dass hier meine Grenze erreicht war – ich würde die Strecke so nicht laufen können.
Ich wusste, meine Beine würden doch niemals wieder warm werden. Mein nächstes Problem war, dass niemand Verständnis für mich haben würde, dass Lipödem-Betroffene eben manchmal Ausnahmen darstellten und es bei ihnen nicht alles so einfach ist wie bei gesunden Menschen. Fest stand, laufen würde ich nicht. Da immer noch kein Bus in Aussicht war, ging ich erst einmal in den naheliegenden Supermarkt, nur, um mich dort aufzuwärmen.
Dort angekommen, begannen meine Beine und Füße unangenehm zu kribbeln und zu pieksen und fühlten sich nach einigen Momenten im Warmen, wieder etwas leichter an. Nach guten 10 Minuten verließ ich den Supermarkt wieder und beschloss, zur nächsten Haltestelle zu gehen, um in Bewegung zu bleiben und dort auf den hoffentlich nächsten Bus zu warten. Insgesamt fielen nun 2 Busse aus und ich wartete insgesamt über eine Stunde, bis endlich ein weiterer mit Verspätung kam.
Im Bus taute ich wieder etwas auf, bevor ich schließlich ausstieg und im Büro ankam.
Meine Beine und Füße waren so eisig. Ich kochte mir einen Tee und legte, in Ermangelung einer Decke oder Wärmflasche, meine Jacke über meine Beine, als ich auf meinem Platz saß.
Dies brachte mir nur einen verständnislosen Blick und Lacher meines Kollegen ein.
Ich spürte, wie Wut und Tränen in mir hochkamen, am liebsten hätte ich einfach angefangen zu weinen.
Ich hatte mich mit meinen Beinen durch die Kälte gequält, war zur Arbeit erschienen und es gab einfach nichts Menschliches. Kein „Geht es dir gut?“ kein „Willst du etwas Pause machen und dich aufwärmen?“, kein „Ich mach dir einen Tee.“ oder ähnliches, stattdessen wurde ich ausgelacht. Dies sind Kleinigkeiten, die mir einfach fehlen, die etwas Wärme und zumindest den Hauch von Verständnis zeigen würden, etwas wie „Ich weiß nicht, wie das ist, da ich das selbst nicht so fühle, kann mir aber vorstellen, dass die Kälte gerade für dich unangenehm sein muss.“ Stattdessen wird gelacht oder vorgeschlagen, bei dem Wetter einen weiten Weg zu laufen.
Ich zitterte vor Kälte, war komplett durchgefroren am ganzen Körper und kuschelte meine eisigen Hände in das Kunstfell meiner Kapuze an meiner Jacke. Ich sprach kaum ein Wort mit meinem Kollegen, was diesem schließlich auffiel. „Mir ist kalt.“ gab ich nur knapp als Antwort zurück. Was würde ich für eine heiße Dusche geben!
Gegen 10 Uhr war ich im Büro angekommen. Um 13 Uhr, zu Beginn der Mittagspause, waren meine Beine immer noch so kalt, trotz Jacke darüber.
Als ich mein warmes Mittagessen aß, half dies tatsächlich schon ein bisschen. Zumindest fühlte ich mehr Energie.
Ich zog nun meine Stiefel aus, stellte sie an die Heizung und legte meine Beine (Füße und Waden) auf die warme Heizung. Endlich Wärme. Endlich spürte ich, wie Wärme durch meine Beine und meinen Körper ging. Ich zog die Socken aus und stellte erleichtert fest, dass meine Zehen normal aussahen und nichts blau gefroren war 😉 Genauso hatten sie sich aber angefühlt.
Nun konnte ich etwas entspannen und die Wärme ging angenehm durch meinen Körper.
Es ist schon ein Phänomen, warum gerade Lipödemer solche Probleme mit kalten Beinen haben.
Jedenfalls brauchte ich meine Jacke als Decke nach der Mittagspause nicht mehr und meine Wut verrauchte langsam. Es ist leider so, dass ich häufig wütend werde, da mir meine Arbeit keinen Spaß macht. Heute war es der kleine Tropfen, der noch gerade so ins Fass passte, bevor es wirklich überläuft.
An diesem Tag kam einfach alles zusammen, meine Depression, Wut, die Kälte, meine zu wenige und / oder falsche Kleidung und meine Beine, die doch etwas anders sind als „normale“ Beine.
Zum ersten Mal hatte ich Tränen in mir aufsteigen gespürt und einen Kloß im Hals und Wut darauf, dass die Menschen, mit denen wir viel Kontakt haben, wie Kollegen, im Alltag keine Rücksicht nehmen, total ahnungslos aber auch desinteressiert daran sind zu wissen, wie es einem wirklich geht und nur von einem erwarten.
Zum ersten Mal habe ich mich gefühlt, als müsse ich platzen und einfach schreien und weinen. Auch, weil meine Beine einfach nicht wärmer wurden und ich vor Kälte zitterte.
Zum ersten Mal hat das Lipödem mich an eine Grenze getrieben.
Zuerst war da das Gefühl von „Ich bin ein Jammerlappen“ und Selbstvorwürfe, zusammen mit meiner Korrektheit, auf jeden Fall schnellstmöglich in der Arbeit zu sein.
Letzten Endes aber sage ich mir „NEIN.“ Es war an dem Tag nun einmal meine Grenze. Es ist mein Körper, der mir Signale sendet und auf den ich hören muss, nicht der eines anderen. Es sind meine Grenzen. Andere haben wieder andere Grenzen. Es sind die anderen, die sich oft nicht in Menschen hineinversetzen können, ich war an nichts schuld (außer an meiner falschen Kleidung). Es ist falsch, mir selbst etwas vorzuwerfen, denn da gibt es nichts. Ich habe gesehen, dass es mir nicht gedankt wird. Meinen Kampf, den ich kämpfe, sieht kein anderer und leider gibt es Menschen, die ihn auch nicht sehen wollen.
Selbstvorwürfe sind für niemanden von uns gut, sind nicht richtig und führen zu nichts, außer, dass man sich selbst schlechter fühlt.
Auch bringt Wut nichts. Ich sage mir nun, dass diese Menschen einfach so sind. Dass solche Menschen andere Probleme haben, meist mit sich selbst. Ich versuche, solchen Menschen nicht böse zu sein, denn sie würden niemals verstehen (können), warum ich böse bin und mich verletzt fühle oder einfach gerade nicht mehr kann.
Es kommt auf mich selbst an (auf Euch!), nicht auf andere. Mein NEIN ist mein NEIN, das ist genau so gemeint und es ist keine Erklärung nötig. Ein Nein ist ein ganzer Satz, ein Nein ist eine Erklärung. Und es ist Euer Körper, auf den Ihr hören solltet.
In diesem Sinne wünsche ich Euch alles Gute 🙂
Eure Sarah
Beitrag teilen
© 2024 deinestarkeseite.de
6 Responses
Wer hat dir gesagt, dass die Kompression ausreichen würde bei Kälte draußen? Man geht doch auch nicht nur mit Leggings raus bei diesem Wetter. Zumindestens eine Thermostrumpfhose muss es sein.
Sorry, aber das ist für mich unverständlich.
Ich geh auch bei kalten Temperaturen NUR mit meiner Kompressionsstrumpfhose raus!!
Ich habe eine die sich dem Wetter anpasst!
Wenn man über eine Kompressionsstrumpfhose noch eine Hose drüber zieht ist man ja eingequetscht wie sonst was, voralem wenn man im Sitzen Arbeitet.
LG
Danke für deinen Beitrag. Ich kann dem total nachfühlen und finde es super, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst. Dadurch fühlt man sich nicht so alleine mit der Erkrankung und dem leider doch nicht seltenen Unverständnis von anderen. 🙂
Du solltest über eine berufliche Veränderung nachdenken, denn es gibt nichts schlimmeres, als wenn der Job keinen Spaß macht. Meistens ist dann auch das Verhältnis zu den Kollegen nicht wirklich gut und was man nicht gern macht, macht man meistens auch nicht gut……
Deshalb war deine persönliche Grenze auch schnell erreicht, sicherlich zu recht, aber in einem anderen beruflichen Umfeld hättest du es nicht so krass empfunden.
Deshalb nochmals meine Empfehlung, suche dir etwas anderes, man verbringt immerhin den größten Teil des Tages in seinem Job mit seinen Kollegen…..
Viel Erfolg!
Diese Wut, körperlich an seine Grenzen zu kommen, kenne ich zu gut. Andere können so viel mehr, müssen nicht so viel planen, was sie anziehen, können weite Strecken wandern, bei jedem Wetter.
Die Erkenntnis, dass ich an dem einen oder anderen Tag nicht warm genug angezogen war, wer hat das noch nicht erlebt. Umhekehrt kann es einem ja auch passieren, dass man vorsichtig plant und dann Hitzestau bekommt, wenn die Sonne rauskommt.
Wenn es einem im Alltag recht gut geht, kann das durchaus passieren und um so mehr wird man von der Realität, dem Lipödem, eingeholt. Dieser Frust kann einem in dem Moment beinahe auffressen.
Liebe Sarah, ich danke Dir für diesen Artikel.
Ich ziehe zu den Flachstrick einen dicken fast Bodenplatten Steppmantel an im Winter, der bis fast an die Knöchel geht, da ich fast ausschließlich Röcke und Kleider trage. Die Mäntel waren gerade Mode dieses Jahr, so dass das perfekt war. Ansonsten eine normale warme Wollstrumpfhose über die Flachstrickstrumpfhose.