Liebe Lipödemkämpferinnen,
im ersten Kapitel meiner Geschichte habe ich Euch erzählt, wie erst das Lip- und dann das Lymphödem in meiner Pubertät entstand und wie sich meine beruflichen und sportlichen Tätigkeiten, sowie meine Ernährung und meine Psyche sich darauf auswirkten.
Vor allem möchte ich nochmals betonen, dass das Lip-/Lymphödem zu dieser Zeit noch nicht diagnostiziert war!
Die Neunzigerjahre starteten emotional nicht so gut für mich. Trennung von meiner ersten langjährigen, großen Liebe und den Tod von meiner geliebten Oma. Es ging mir psychisch noch nie so schlecht wie zu dieser Zeit. Ich hatte keinen Appetit und nahm in kürzester Zeit fünf Kilo ab. Und ja, ich hatte auch an den Beinen abgenommen, die Orangenhaut war allerdings immer noch da. Die Gewichtsabnahme führte allerdings dazu, dass es mir auch körperlich nicht gut ging. Ich hatte ständig Kreislaufbeschwerden, keine Kraft, keine Energie. Nun war ich super schlank, aber sehr, sehr unglücklich und kraftlos. Ich hatte zwei geliebte Menschen verloren und gefühlt war mein Lebensinhalt weg. Ich war völlig orientierungslos. Ich fühlte mich so leer, dass ich auch meine Beine nicht spürte und überhaupt nicht wahrnahm.
Doch zum Glück hatte ich meine zwei besten Freundinnen, wir kennen uns schon aus der Kindheit, die mich auffingen und jederzeit für mich da waren. Die nicht zu ließen, dass ich im Alter von 24 Jahren mein Leben nicht mehr genießen konnte und zum verlassenen Mauerblümchen wurde. Was soll ich sagen, es waren die 90iger Jahre! Es war der Anfang der Großraum Diskotheken, der Tanzfilme und viele Fitnessstudios schossen aus dem Boden. Es war die Zeit von sehen und gesehen werden. Wir Mädels waren viel unterwegs und machten die Diskotheken unsicher! Es ging mir wieder besser und das strahlte ich auch aus. Und so lernte ich auch meine große Liebe und meinen heutigen Mann kennen. Die Liebe gab mir wieder Kraft, Mut, Selbstbewusstsein und jede Menge Power. Die unbeschwerteste Zeit meines Lebens begann. Auch körperlich ging es mir wieder richtig gut. In dieser emotionalen Phase spielten meine Beine nur eine untergeordnete Rolle. Ich war einfach nicht darauf fokussiert.
Ich startete nebenberuflich als Aerobic Trainerin durch und absolvierte in diesem Bereich verschiedene Trainerausbildungen. Wer kennt sie nicht, die schrillen Outfits der 90iger Jahre von Jane Fonda, mit Hot Pants, Stringbody, breite Gürtel, Stirnband usw.
Ich sage Euch, die beste Erfindung aller Zeiten waren für mich damals die „Dance Shimmery Tights“ – meine Rettung. Blickdicht und heute würde ich sagen, mit leichter Kompression, machten schöne Beine und zeigten keine Orangenhaut. Kein Mensch verstand, warum ich die Strumpfhosen auch im Sommer trug. Ich schon, denn diese Strumpfhosen oder auch als Leggings, waren einfach genial. Damit konnte ich meine Beine super kaschieren, denn ich wollte als Trainerin Vorbild sein, was meine Figur und Bewegungsausführung angeht. Ich tanzte immer noch in einer Tanzgruppe, unterrichte dreimal wöchentlich Aerobic und Step Aerobic in einem Fitnessstudio und meine Kurse liefen richtig gut. Es machte mir super viel Spaß, Menschen Bewegungsfreude zu vermitteln und das Beste war, ich bewegte mich ja mit! Körperlich fühlte ich mich zu dieser Zeit topfit. Klar, ein bisschen waren meine Beine schon ein Thema, ich versuchte sie einfach immer bestmöglich zu kaschieren. Essen war in dieser Lebensphase irgendwie auch nicht so wichtig. Ich ernährte mich überwiegend noch gesund, aber am Wochenende wurde schon auch gefeiert! Durch meine unregelmäßigen Arbeitszeiten als Arzthelferin und den Kursen kam ich irgendwie manchmal gar nicht so richtig zum Essen. Einfach so, weder absichtlich, noch habe ich mir Gedanken darüber gemacht oder gehungert.
Auf meinen Fortbildungen erkannte ich, dass es durchaus Trainerinnen gab, die keine Traumfigur hatten und sich trotzdem toll bewegten und sehr gute Trainerin waren. Das nahm mir viel Druck zu dieser Zeit. Ich erkannte, dass man äußerlich nicht perfekt sein muss bzw. dass es der eigene Perfektionismus ist, der einem oft selbst im Wege steht. Perfekt ist langweilig und unnahbar! Es war eine so tolle Zeit, auch wenn meine andere Oma damals schon zu mir sagte: „Du hast Beine wie ein Fußballer mit der Form einer Flasche.“ Damit hatte sie zwar völlig recht, aber es war mir einfach egal! Ich hatte einen tollen Partner, der mich toll fand, das gab mir sehr viel Selbstbewusstsein! Ich fühlte mich rundherum wohl mit mir und meinem Körper und mit meinen Strumpfhosen, mit denen ich diese Beine ein bisschen verstecken konnte. In dieser Zeit konnte ich meine Beine, so wie sie waren, gut annehmen und akzeptieren.
So ging es im Prinzip weiter bis 1995. Mein Freund, war inzwischen mein Lebensgefährte und ich wechselte beruflich in dessen Firma als Bürokraft. Zu diesem Zeitpunkt war ich 29 Jahre alt. Schnell nahm der berufliche Alltag mich mehr und mehr ein. Aus zeitlichen Gründen hörte ich mit dem Tanztraining auf und unterrichte meine Kurse nur noch zweimal wöchentlich.
1996 heirate ich meine große Liebe! Der glücklichste Tag meines Lebens! Ich hatte mein Gewicht trotz des vielen Sitzens, aufgrund der Bürotätigkeit und weniger Trainings gut im Griff, doch meine Unterschenkel vor allem im Bereich der Waden, Schienbeine und Knie haben sehr an Umfang zugenommen. Ich dachte, das kommt bestimmt vom Step Aerobic Training. Nach langen Arbeitstagen und ohne Sport waren meine Beine oft jedoch schwer wie Blei. Ich konnte kaum in die Hocke gehen, da das meine Waden abdrückte und sehr unangenehm war.
1998, also mit 32 Jahren, setze ich die Antibabypille ab und wurde sechs Monate später schwanger. Nun esse ich zum ersten Mal dreimal täglich ohne schlechtes Gewissen, weil es für mein Baby wichtig war – herrlich. Im fünften Schwangerschaftsmonat hörte ich komplett mit dem Sport auf. Auch ohne Essattacken nehme ich stetig ganz schön zu. Zum Glück hatte ich ein Anfangsgewicht von nur 55 Kilo, dadurch blieb Luft nach oben. Das brauchte ich auch, denn ich nahm bis zur Geburt meines Sohnes 21 Kilo zu! Und zwar überall! Ich lagerte extrem Wasser ein und habe zuletzt wieder so dicke Füße und Beine, dass die Gynäkologin mich krankschreibt und wirklich ermahnt besser auf mich und das Baby aufzupassen. Ich weiß noch, dass ich damals in Tränen ausbrach, vor Angst mit meinem Baby könnte etwas nicht in Ordnung sein. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen, gegenüber meinem ungeborenen Kind, aber natürlich auch gegenüber unserer Firma, der ich als Arbeitskraft fehlte.
Der 25.5.1999 war neben meiner Hochzeit, der glücklichste Moment in meinem Leben. Unser Sohn wurde geboren! Ab diesem Moment ist er das Wichtigste in meinem Leben. Ich will unbedingt stillen, von ganzem Herzen und es funktioniert. Nebenbei, alle haben gesagt, dass man nach der Geburt schnell wieder abnimmt und erst recht, wenn man stillt! Bei mir war das überhaupt nicht so, es war mir aber auch egal. Für meinen Sohn da zu sein, das war das Wichtigste in meinem Leben. Ich stillte sieben Monate lang und habe es in vollen Zügen genossen. Auch Essen ohne schlechtes Gewissen, einfach herrlich.
Aber auch nach dem Stillen bekomme ich mein Gewicht und vor allem meine Form nicht in den Griff.
Ich war mir völlig sicher, wenn ich irgendwann wieder Sport treibe, dann würde ich auch wieder abnehmen und besser in Form kommen. Bis dahin halt Fehlanzeige. Nach dem Stillen nahm ich dann auch wieder die Antibabypille.
Durch das Familienleben esse ich weiterhin dreimal täglich ganz normal und durch meinen Sohn natürlich auch gesund. Kartoffeln, Gemüse, Fleisch, so war das zu dieser Zeit. Ich gehe in meiner Mutterrolle voll auf. Beruf und Familie füllen mich so aus, dass für mich selbst, geschweige denn für Sport, weder Kraft noch Zeit übrig blieb. Was ich selbst gar nicht für schlimm empfand, mein Sohn machte mich einfach so glücklich. Aber die Beschwerden und auch der Umfang meiner Beine wurden immer schlimmer. Spannung und Schweregefühl nahmen immer mehr zu. Es fühlte sich an wie Durchblutungsstörungen… (Fortsetzung folgt)
Ihr habt es sicherlich schon bemerkt, ich wusste also immer noch nicht, dass ich an einem Lip-/Lymphödem leide. Weder in meiner Zeit als Arzthelferin, noch bis zu diesem Zeitpunkt war mir dieses Krankheitsbild überhaupt bekannt. Hätte es etwas geändert? Wäre es zum Vorteil oder eher zum Nachteil gewesen? Das habe ich mich schon oft gefragt! Was denkt ihr?
Wann mein Lip-/Lymphödem diagnostiziert wurde und ob es für mich etwas änderte, erfahrt Ihr in meinem nächsten Beitrag.
Eure Michaela
Beitrag teilen
© 2024 deinestarkeseite.de