Julia
Bloggerin
Meine Tochter schaut mich satt und auch ein bisschen müde an, als ich ihr mit einem Spucktuch die Milchreste aus den Mundwinkeln wische. Als ich sie fürs Bäuerchen hochnehme, wandert ihr Blick suchend zur leeren Flasche, die ich neben mir abgestellt habe. Dann legt sie zufrieden den Kopf an meine Schulter und nickt ein. Glückliches Baby, glückliche Mama. Glückliche Mama, glückliches Baby.
Vor zwei Wochen habe ich abgestillt. Meine Tochter ist jetzt, Mitte Oktober, viereinhalb Monate alt. Ich konnte von Anfang an nur Teilstillen, weil sie ihre erste Lebenswoche mit starker Neugeborenengelbsucht in der Kinderklinik verbringen musste. Ich konnte sie dort nur besuchen, sodass ich höchstens zweimal am Tag stillen konnte. Der Milcheinschuss war karg – wo keine Abnahme, da kein Angebot. Zwei Wochen lang versuchte ich mit diversen Methoden die Milchmenge zu steigern. Meine Hebamme wollte mich wohl ermutigen. Letztlich empfand ich ihr Zureden aber eher als Druck. Irgendwann wurde es ein bitteres Spiel: „Wie lange hält die Kleine wohl ohne Flasche durch?“ „Heute hat sie nur zwei Flaschen bekommen, so wenig wie noch nie!“ Nur leider bedeutete ein solcher „Erfolg“ für mich auch: Dauerstillen und ein ebenfalls dauernd schreiendes Kind, das nie, nie satt war. Außer, es bekam eine Flasche…
Nach vielen Tränen und Selbstvorwürfen entschied ich mich dafür, die Kleine teilzustillen bzw. mit Zwiemilch zu ernähren, wie manche sagen. Vor jeder Mahlzeit bekam sie die Brust – für sie war das glaube ich so eine Art Vorspeise – danach kam der Hauptgang. Wir spielten uns ein. Doch in den darauffolgenden Wochen wurde dann ein anderes Thema immer brisanter. Eines, das ich bis dahin vollkommen verdrängt hatte: Meine Lipödemerkrankung und deren Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen des Körpers.
Das Lipödem war schon im Laufe der Schwangerschaft stärker geworden, was mir aber wegen meines Kugelbauchs nicht wirklich aufgefallen war – und mal ehrlich, man hat da auch einfach andere Sachen im Kopf. Ich war zeitweise ohne Kompressionsversorgung gewesen, weil die Strumpfhose mit Schwangerschaftsleibteil schneller zu eng wurde als ich gedacht hatte. Danach trug ich Oberschenkelstrümpfe, die rutschten und Armstrümpfe, die meine Hände einschlafen ließen (Wassereinlagerungen! Pfui!). Mit anderen Worten: Oftmals trug ich eben einfach gar keine Kompression. 6 bis 8 Wochen nach der Geburt meiner Tochter passte mit Ach und Krach eine Kompression von vor der Schwangerschaft, die ich trug bis die neue Hose fertig war. Die Armstrümpfe trug ich weiterhin nicht, denn bei 35 Grad hätte mich das vermutlich umgebracht.
In unseren Still-Flaschen-Rhythmus hatten wir uns gerade eingefunden, da fielen mir neue Ödeme an den Beinen auf. Ebenso hatte ich plötzlich Schmerzen. Meist dann, wenn ich die Kompression abends ablegte. Vor der Schwangerschaft war mein Lipödem schmerzlos gewesen (außer Druckschmerz). In meinem Kopf fing es an zu rattern. Ist es egoistisch, wenn ich meine Tochter abstille, in der Hoffnung, dass das Lipödem dann nicht weiter wächst und die Schmerzen wieder aufhören? Wer gibt mir die Sicherheit, dass das so sein wird? Wenn es nicht so sein wird und es auch ohne Hormonchaos weiterhin schlimmer wird, werde ich dann bereuen, dass ich abgestillt habe?
Die Entscheidung, mein Mädchen in ihrem vierten Lebensmonat abzustillen, fiel mir unendlich schwer. Aber die Angst vor einem Fortschreiten der Erkrankung war zu meinem täglichen Begleiter geworden. Ich konnte nicht mehr in den Spiegel gucken, dachte bei jedem Stillen an das Lipödem und wurde ganz unruhig. Es war fast, als würde ich es wachsen SPÜREN, einfach weil ich solche Angst hatte. Laut Waage nahm ich sogar ab – aber die Angst blieb.
Ich habe meine Tochter dann schrittweise und auf natürlichem Weg abgestillt. Jede Woche ließ ich eine Mahlzeit weg, sodass ich nach fünf Wochen fertig war. Zunächst stürzte ich in ein emotionales Tief, die Hormone zeigten sozusagen nochmal, was sie drauf hatten. Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Tochter und auch mir fehlte die Nähe, die so nur das Stillen erzeugt.
Doch wenn sie so friedlich an meiner Schulter ruht wie jetzt, ich ihren ruhigen Atem und ihre Wärme spüre, dann weiß ich, dass ihr nichts fehlt. Glückliches Baby, glückliche Mama. Glückliche Mama, glückliches Baby. Was hätte meine Tochter davon, wenn sie spürte, wie unglücklich es mich macht, sie zu stillen? Wenn sie erlebte, wie ich unter meiner Krankheit, unter meinem Körper leide?
Jede Frau, ob mit oder ohne Lipödem, muss selbst entscheiden, ob und wie lange sie ihr Kind stillen möchte. Es gibt wohl kaum eine persönlichere Entscheidung. Für Frauen, die von einer Lipödemerkrankung betroffen sind, ist es aber oft noch schwieriger, weil sie ein gesundheitliches Risiko eingehen, das unter Umständen auch mit großen psychischen Belastungen verbunden ist. An alle Lipmamas, die ihr Kind voll und lange stillen: Ich ziehe meinen Hut vor Euch! Denn keine von uns weiß, ob sie den Joker oder den Schwarzen Peter gezogen hat, ob ihre Ödeme wachsen und schmerzen werden oder nicht. Ich habe meine Entscheidung gefällt. Darüber zu sprechen oder auch wie hier, darüber zu schreiben, hilft mir bei der Verarbeitung. Und auch, wenn ich nun in Sachen Körpergefühl und Selbstakzeptanz wieder von vorne beginnen muss: Ich würde es wieder tun. Wenn wir ein weiteres Kind bekommen sollten, würde ich es stillen wollen. Wenn auch vermutlich nur vier Monate.
Julia (29), Mutter von Karlina (4 ½ Monate)
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5 Responses
Ich wusste erst nach meinen drei Schwangerschaften, dass ich Lipödem habe. Mein erstes Kind hatte ich fast 10 Monate gestillt und in dieser Zeit nochmals 10 kg zugenommen.
Toller, interessanter und sehr persönlicher Artikel! Ich habe mein Herbstkind bist zum Sommer gestillt und parallel zugefüttert. Nachdem die Beine in der Schwangerschaft wirklich sehr gelitten hatten, wurde nach der ersten Entstauungstherapie im Herbst drauf (1 Jahr später) ein positiver Prozess in Gang getreten. Mit dem Know-HOw und der richtigen Bestrumpfung gingen die Umfänge dann jahrelang nur noch runter. Erst nach der Liposuktion letztes Jahr nahmen die Umfänge erstmals wieder zu und zwar an den nicht operierten Stellen.
Viele Grüße
Vielen Dank für den interessanten Artikel!
Bei mir gab es schon vor der Schwangerschaft die Vermutung auf Lipödem. Ich ließ es aber nie abklären. Ich habe von Anfang an (mit Startschwierigkeiten) gestillt und das sogar 2,5 Jahre durchgezogen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich an Unfängen zugenommen habe an den Beinen, aber die Schmerzen sind auf alle Fälle „erwacht“. Aber dann habe ich mich endlich um die Diagnose und Behandlung gekümmert. Hatte also auch seinen Vorteil 🙈
Warum verschlimmert sich ein Lipödem während der Stillzeit?
Super toller Artikel.
Wichtig ist, dass du und die Kleine glücklich und zufrieden sind.
Ich konnte zum Glück die ganze Schwangerschaft die Kompression tragen, aber leider danach für mehrere Wochen nicht, da ich mir die Hand gebrochen habe. Das war mit vielen Schmerzen verbunden. Aber mit einem lymphgerät konnte ich mir ein wenig Erleichterung verschaffen.
Mit dem Stillen hat es super gut bei uns geklappt. 15 Monate. Nach dem Stillen kam aber dann wieder der Hormonumschwung und die Schmerzen.