Hätte mir jemand noch vor ein paar Wochen/Monaten erzählt, dass ich mal mit Blaulicht mit dem Krankenwagen unter größten Schmerzen ins Krankenhaus gefahren und dort notoperiert werden würde – ich hätte denjenigen ausgelacht. Ich doch nicht, war ich doch immer gesund. Weshalb sollte ich denn ins Krankenhaus müssen? Ich war und bin eigentlich kerngesund und wenn ich doch einmal krank wurde, dann heilte ich immer recht schnell. Nach Erkältungen bin ich für gewöhnlich nach 2-3 Tagen wieder fit, habe anscheinend ein gutes Immunsystem und auch Verletzungen heilen recht schnell bei mir.
Leider wurde ich im Februar 2022 brutal eines Besseren belehrt, wurde quasi einfach aus meinem bis dahin wunderschönen Leben gerissen.
Ende Januar fing alles an: mit starken Rückenschmerzen im unteren Bereich, Lendenwirbelsäule. Ich war in der Arbeit, ging aber zum Arzt und von dort nach Hause – erste Diagnose: Iliosakralblockade. Ich bekam Physiotherapie verschrieben und eine Woche lang einen gelben Schein.
Da ich mit Anfang 20 schon einmal einen kleinen Bandscheibenvorfall hatte, bei dem ich aber auch ordentlich Schmerzen hatte, erzählte ich dies auch dem Arzt. Seine Antwort: „Neeee, nicht so weit unten am Rücken.“ Was absoluter Quatsch ist, einen Bandscheibenvorfall kann man überall haben, wo man Bandscheiben hat 😉
Jedenfalls wurde nach einer Woche der Rücken nicht besser, eher im Gegenteil. Am Wochenende 5.2/6.2. war ich alleine daheim, mein Freund war bei guten Freunden zu Besuch. Am Samstag war ich ausgedehnt mit einer Freundin spazieren. Am Sonntag waren die Schmerzen dann so stark, dass ich vor Verzweiflung schon weinte. Trotzdem wollte ich meine Kompression anziehen, schlüpfte, kaum bewegungsfähig, mit den Beinen im Sitzen hinein, zog an – ZACK – ein stechender, reißender, „Irgendwie von allem etwas“- Schmerz schoss durch meinen Rücken. Keuchend vor Schmerz sank ich seitlich auf das Bett und zog mir gequält die Kompri wieder aus. Plötzlich wurde mein Bein taub – das machte mir Angst. Tränen liefen in Strömen, „Aufstehen!“ sagte mein Kopf, „Bei Schmerzen im Rücken soll man sich bewegen, also steh auf!“
Ich lief durch die Wohnung, mit taubem Bein, mit Schmerzen, mit panischer Angst. Telefonisch erreichte ich meinen Freund nicht und rief meine Mama an, welche mich kaum beruhigen konnte. Seltsamerweise einer meiner ersten Gedanken: So kann ich doch morgen nicht arbeiten gehen. Warum denken wir Deutschen immer nur an die Arbeit? Ich sollte für 3 lange Monate nicht arbeiten gehen… aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Meine Mama wollte, dass ich einen Krankenwagen rief – ich aber wollte nicht ins Krankenhaus. Mein Freund kam gegen Spätnachmittag wieder und auch er wollte einen Krankenwagen rufen. Ich weigerte mich weiterhin. Immerhin, als ich mich abends ins Bett legte, kam plötzlich das Gefühl in meinem bisher tauben Bein wieder. Das ich morgen zum Arzt musste, war mir spätestens dann klar. Am Montagmorgen kam ich vor Schmerz kaum aus dem Bett.
Ich hatte Physiotherapie und die Hoffnung, dass mir dort geholfen würde. Leider half es auch nichts. Letzte Lösung: Wir riefen letzten Endes dann doch den Krankenwagen.
Zwei Rettungssanitäter holten mich von der Physio ab und brachten mich nach Bochum ins Knappschaftskrankenhaus; Verdacht auf Bandscheibenvorfall, ab in die Neurochirurgie. Zunächst landete ich mutterseelenallein mit meiner Panik und einem Schmerztropf in der Notaufnahme. Mein Freund war hinterhergefahren, in die Notaufnahme durfte aber kein Besuch.
Der Tropf war der reinste Segen. Es tat so gut, plötzlich keine Schmerzen mehr zu haben.
Während ich so dalag und verzweifelt mit schlechtestem Netz versuchte, eine Nachricht an meinen Freund zu senden, wurde mein kompletter Unterleib taub. Meine Schenkel von hinten und zwischen den Beinen, mein Po mit „Hinterausgang“, mein Intimbereich – alles komplett taub. Weinend sagte ich einem vorbeischauenden Pfleger Bescheid, dann kam eine Ärztin. Sie prüfte, ob ich meine Beine spüren konnte, ob ich auf Zehenspitzen und Fersen stehen konnte und zuletzt – das Unangenehmste – ob mein Schließmuskel funktionierte. Ich bestand alle Tests, was, wie ich heute weiß, ein wahnsinniges, nahezu unverschämtes Glück war… und mir später erst bewusst machte, wie krass mein Körper für mich kämpfte und sämtliche Funktionen am Leben hielt.
Die Ärztin sagte: „Wir müssen einen beginnenden Querschnitt ausschließen.“ Bumm. Diesen Satz werde ich nie vergessen, festgefressen wie Rost in meinem Gedächtnis und meinen Gefühlen.
Würde ich meine Beine verlieren? Im Rollstuhl landen? Ich hatte eine riesige Angst.
Mittlerweile war mein Freund da, rief mich an, wir weinten beide in unsere Handys; ich, weil ich ihm von besagtem Querschnitt erzählte, er vor Verzweiflung und Angst, weil sie ihn nicht zu mir ließen. Ich wollte ihn so sehr sehen, meinen Anker, meinen Ruhepol – ich stand auf, mein Tropf war schon lange durchgelaufen und entfernt worden, meine Schuhe ließ ich, unfähig mich zu bücken, einfach stehen und rannte auf Socken durch den Flur. Ja, ich lief. Ich rannte, was meine Beine hergaben. Von wegen, querschnittsgelähmt. Ich fand schließlich den Haupteingang, rannte an der Rezeption vorbei auf Socken und ohne Jacke hinaus in die kalte Februarluft. Dort stand er. Wie in einem billigen Kitschfilm, fielen wir uns um den Hals und ließen den Tränen freien Lauf. Ließen der Angst freien Lauf. Ich nahm seine Hand und führte ihn nach drinnen, wo mich bereits die Dame am Empfang wütend anmotzte, was ich mir dabei dachte, aus der Notaufnahme abzuhauen – dort sei sonst was los, alle suchten nach mir. Ich sollte jetzt eine Blasen-Sonographie machen, dort würde ich die ganze Zeit schon erwartet. „Dazu noch ohne Schuhe und Jacke, Sie holen sich ja den Tod!“
Ich wollte doch gar nicht abhauen! Unfähig, die Tränen zurück zu halten, wütend und voller Angst, sagte ich „Was würden Sie denn tun, wenn man Ihnen sagt, Sie seien vielleicht querschnittsgelähmt und man sie stundenlang alleine liegen lässt und Ihr Mann nicht zu Ihnen darf?“ Die Dame zeigte nun etwas Mitgefühl, rief in der Notaufnahme an, bat, dass mein Freund mit rein dürfe – keine Chance.
Ich musste nun zurück, verheult, voller Angst, allein. Ebenso blieb er allein zurück. Wir umarmten uns noch einmal. Er würde zu mir kommen, sobald es ging. Zumindest hatten wir uns noch einmal gesehen.
Ein paar Stunden (!) später kam ich dann abends auf Station 4, die Neurochirurgie, mittlerweile wieder unter starken Schmerzen, da das Schmerzmittel aufgehört hatte zu wirken. Ich musste selbst dorthin gehen, mit dem Aufzug hochfahren und mich anmelden – niemand brachte mich. Wenn ich darüber nachdenke, während ich Euch nun davon berichte, kommen mir immer noch etwas die Tränen.
Am nächsten Morgen kam ich ins MRT. Essen durfte ich nichts, da bereits vermutet wurde, dass ich operiert werden müsse. Das Ergebnis war eine Stunde später in Form eines bereits düster dreinschauenden Arztes auf meinem Zimmer.
Massenprolaps LWK 5/ SWK 1… also ein massiver, wirklich riesengroßer Bandscheibenvorfall ganz weit unten in der Lendenwirbelsäule. Dazu ein beginnendes Cauda-Syndrom.
Was das ist? Nun, da der Bandscheibenvorfall (ich kürze weiterhin mal mit BSV ab) so groß war, nahm er den kompletten Spinalkanal im Rücken ein und engte sämtliche Rückenmarksnerven und -wurzeln massiv ein. Dies verursachte die starken Schmerzen im Rücken. Die Rückenmarksnerven sind zuständig für die Steuerung unserer Beine, Füße, Knie, der Blase und des Mastdarms mit deren Schließmuskeln. Der Duralsack umgibt schützend das Rückenmark, die aus ihm abgehenden Nervenwurzeln, die Spinalganglien und die Cauda equina – Nervenstränge.
Das Cauda-equina-Syndrom ist ein sehr seltenes, aber schwerwiegendes neurologisches Zustandsbild. Es ist so selten, dass ein Hausarzt während seiner gesamten Laufbahn vielleicht mal einen Patienten mit diesem Syndrom sieht. Ursächlich ist zumeist ein raumfordernder Prozess (bei mir der BSV, was auch die häufigste Ursache darstellt) im lumbosakralen Spinalkanal mit Kompression der Cauda-equina-Fasern mit akuten neurologischen Ausfallserscheinungen. Eine frühzeitige Diagnosestellung und Therapie sind essentiell, um permanente und gravierende Funktionsstörungen zu vermeiden.
Dennoch ist man, wie ich es heute weiß, mit Cauda Syndrom ein absoluter Notfall, jeder Arzt MUSS die Red Flags zwingend erkennen können.
Denn es kann, werden die Nerven zu lange eingeengt, schwerwiegende Folgen haben… es kann eine Inkontinenz der Blase und des Darms, oder das Gegenteil, z. B. Harnverhalt, verursachen, da durch die Störung der Nerven das Gehirn keine Signale mehr an Blase und Darm senden kann, wodurch die beiden Organe nicht mehr „ansteuerbar“ sind. Es kann Ausfallerscheinungen wie Kribbeln, Taubheit oder gar Lähmungen der Beine verursachen, bis hin zu einer kompletten Querschnittslähmung. Das Cauda Syndrom ist selten, aber quasi die Schreckensfratze oder das absolute Endstadium eines Bandscheibenvorfalles. Dieser muss sehr groß sein, um so etwas zu verursachen.
Was man da macht: Operieren. Die Nerven müssen schnellstmöglich befreit werden. Ziel der OP ist tatsächlich keine Schmerzfreiheit, sondern eine Befreiung der eingeengten Nerven, um schwere, irreversible Folgeschäden zu vermeiden. Hier können wenige Stunden entscheidend sein.
Ich hatte die Wahl zwischen der Operation oder Inkontinenz/Rollstuhl oder gar beides. Da sich diese Frage gar nicht stellte, wurde ich am selben Tag noch, am 08.02.22, operiert. Das erste Mal in meinem Leben.
Ich hatte große Angst. Schließlich wachte ich gegen 20 Uhr allein im Aufwachraum wieder auf, am Bett hing ein Blasenkatheter, meine Beine konnte ich normal bewegen, und die Schmerzen waren weg. Diese extremen, irren Schmerzen waren einfach wie ausgeknipst. Ich war müde und mir war leicht flau im Magen. Ansonsten ging es mir gut. Die Schwester kam rein, über den Zugang erhielt ich ein Mittel gegen Übelkeit, was super anschlug. Gegen 21 Uhr war ich auf meinem Zimmer.
Ich hatte die beste und liebste Zimmernachbarin der Welt, sie hatte bereits viel durchgemacht, konnte mir vieles aus eigener Erfahrung berichten, tröstete mich und sprach mir Mut zu. Als ich weinte, als ich mein MRT-Bild ansah, kam sie zu mir ans Bett, strich mir tröstend über die Arme und hielt meine Hand. Ich werde sie niemals vergessen und bin ihr heute noch sehr dankbar. Jemandem zum Reden in diesen dunklen Stunden zu haben war Gold wert.
Am anderen Tag durfte ich aufstehen und mit Hilfe der Schwester meine Haare waschen. Alle waren sehr nett zu mir. Meine Angst, dass ich aufwachen und meine Beine plötzlich gelähmt sein könnten, nahm der Arzt mir. Die OP war gut verlaufen, alles konnte entfernt werden. Die Nerven hatten wieder Platz.
Binnen zwei Tagen kam das Gefühl in den Innenseiten meiner Schenkel wieder, ich spürte wieder die Klobrille, auf der ich saß und die Unterhose am Po. Alles andere war noch taub. Meine Zimmernachbarin freute sich mit mir. Drei Tage nach meiner OP wurde sie entlassen. Ich hätte wieder weinen können, freute mich aber auch für sie. Schließlich wollen wir doch alle schnell wieder heim.
Nach vier Tagen und nachdem ich lernen musste, meine Blase wieder zu spüren, wenn sie voll war, zogen sie mir den Katheter. Ich hatte Angst, in der Nacht im Schlaf einzunässen. Nichts dergleichen geschah, meine Blase hielt dicht. Auch für die Ärzte und Schwestern war es ein Versuch, niemand wusste, wie meine Blase mitmachen würde. Nach fünf Tagen, Samstagabend noch, durfte ich nach Hause. Mein Freund kam jeden Tag zu Besuch. Die Besuchszeit ab 15 Uhr war täglich mein Highlight, auf was ich mich so sehr freute. Am Samstag fragten wir dann wegen der Entlassung. Und ich durfte direkt gehen 😉
… erfahrt Ihr im nächsten Teil meines Erfahrungsberichts.
Ganz liebe Grüße an Euch,
Eure Sarah
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