Liebe Ladies,
in diesem Beitrag geht es um die Psyche und das Lipödem, aus der Sicht einer selbst Depressionserkrankten, bei der jeder Tag anders sein kann. Es geht allerdings nicht darum, was das Lipödem mit unsere Psyche macht, sondern ob unsere Psyche auch ein Auslöser für die Entstehung eines Lipödems sein kann. Meiner Meinung nach ist unsere seelische Gesundheit und innerer Frieden ein ganz wichtiger Faktor.
Warnung also an Betroffene psychischer Erkrankungen: Lest nicht weiter, wenn euch dieses Thema triggern könnte.
Ich habe sehr lange gebraucht, diesen Beitrag fertig zu stellen, da es mich selbst wie ein dunkler Strudel runtergezogen hat. Ich war irgendwann so in meinen Erinnerungen gefangen, so dass ich tagelange Pausen gemacht und den Beitrag zur Seite gelegt habe. Mir ist während des Schreibens viel selbst bewusst geworden und vieles ergab jetzt Sinn. Ich musste oft durchatmen und mich innerlich sammeln, mir immer wieder bewusst machen, dass die Vergangenheit vorbei ist, ich viel gelernt und mich verändert habe, ich stark geworden bin und mich meine Erinnerungen nicht mehr einholen können. Dennoch lag es mir am Herzen und ich finde es sehr wichtig, dieses Thema näher zu beleuchten und mit Euch zu teilen.
Nun habe ich es hier auch einmal verraten: Während meiner zweiten Ausbildung, nun über 10 Jahre her, wurde mir eine mittelschwere Depression diagnostiziert.
Bereits während meiner ersten Ausbildung ging es mir seelisch oft schlecht, weil ich im falschen Beruf feststeckte, der eindeutig nichts für mich war und ich ständig unter Leistungsdruck stand. Ich war schlecht in dem Job, machte viele Fehler, kam nicht aus mir heraus, war ein komplett ungeeigneter Charakter dafür. Ich wurde viel angemeckert und ausgeschimpft von Kollegen, Lehrern in der Berufsschule und hatte Prüfungsstress, da ich Prüfungen und Tests immer nur gerade so bestand. Ich zitterte vor der Abschlussprüfung und dem erwarteten Durchfallen und schämte mich sehr dafür, dass ich so schlecht in dem Beruf war. Ich habe erstmal aber nicht eingesehen, dass es schlicht die falsche Wahl für mich war.
Das ging so weit, dass ich mich täglich unter Übelkeit, ständiger starker Müdigkeit und Antriebslosigkeit, Frust und Wut auf meine Arbeit quälte, manchmal einfach anfing zu weinen und am liebsten einfach geplatzt wäre und alle um mich herum laut angeschrien hätte. Was in mir vorging, sah niemand. Selbst in meiner Familie, hieß es nur, ich übe ja einen tollen Job aus, wie könnte ich denn unglücklich sein.
Ich hörte sowas wie: „Gib dir halt mehr Mühe, lern ordentlich. Du hast ja bald Prüfung, dann ist es vorbei. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Ich musste während meiner Ausbildung auch Sachen machen, die mir keinen Spaß gemacht haben! Ich durfte mir den Job nicht mal selbst aussuchen, meine Eltern haben mir die Arbeit ausgesucht! Du machst das schon!“
Also glaubte ich lange, es läge allein an mir, ich sei schuld, bis ich letzten Endes die Reißleine zog und die Ausbildung abbrach und mich neu orientierte. Neue Suche, neue Praktika, eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme von der Agentur für Arbeit über 10 Monate und einige Vorstellungsgespräche und Einstellungstests später, habe ich mit 22 Jahren dann meine 2. Ausbildung angefangen und mit 25 Jahren erfolgreich abgeschlossen. In dem Beruf arbeite ich heute noch und bin mehr als glücklich über meine damalige Entscheidung, noch einmal von vorn zu starten.
In der Phase meiner ersten Ausbildung habe ich auch plötzlich und stetig an Gewicht zugenommen, meine Größe 36 stieg auf eine 44. Dies war sicherlich eines der ersten Anzeichen des Lipödems, welches ich aber nicht als solches, als Erkrankung überhaupt, wahrnahm. Ich hab halt einfach zugenommen wegen dem unregelmäßigen, nächtlichem Essen während des Schichtdienstes. Ich fühlte mich kurvig auch nicht unwohl, also nahm ich es so hin.
Meine ersten Lipödem-Symptome traten irgendwann während der 2. Ausbildung auf. Ich hatte oft Schmerzen in den Beinen, gerade am Abend und klagte meinem Partner mein Leid, der mich drängte, einen Arzt aufzusuchen. Ich wusste immer noch nichts vom Lipödem. Am nächsten Tag ging es mir auch wieder gut, also tat ich die Schmerzen ab und lebte weiter in meinen Tag hinein.
Im Verlauf der letzten Jahre habe ich viel über mich und meine seelische Gesundheit lernen müssen, war 2x in psychologischer Therapie, eine habe ich mit 25 Sitzungen beendet, die andere, im vergangenen Jahr, habe ich abgebrochen, da sie mir leider gar nicht half. Ich hatte Antidepressiva, welche ich eigenmächtig – unvernünftigerweise – mit meinen damals 23 Jahren, absetzte. Ich habe sie nur sehr kurz eingenommen, aber die schnell auftretenden Nebenwirkungen machten mir solche Angst, dass ich sie nach etwa 14 Tagen bereits absetzte. Ich habe an diesem Wochenende nur geschlafen, war ohne Ende müde, stand komplett neben mir, als sei ich „woanders“, wie in Trance, habe nichts mehr um mich wirklich wahrgenommen. Nach 2 Tagen besserte es sich zum Glück.
Seit diesem Ereignis lebe ich komplett ohne Medikamente – ich möchte nie wieder Antidepressiva nehmen. Ich habe mein „Heil“ im Sport, in der Bewegung an der Luft, in meinem Hobby und schönen Tagen mit lieben Menschen gefunden. Was nicht heißt, dass ich geheilt wäre, aber ich kann mir damit selber helfen. Positive Gedanken, tief durchatmen und mit vertrauten Personen offen sprechen, helfen mir sehr, wenn ich mal wieder eine anrollende Panikattacke spüre. Diese sind weniger geworden, darauf bin ich sehr stolz.
Mein Leben mit meiner Depression als immer auf meinem Rücken liegender Rucksack, der mal leichter und mal schwerer ist, ist nicht immer einfach, auch ich habe sehr düstere Gedanken, welche ich öffentlich aber nicht verraten werde. Ich habe Ängste, habe Selbstzweifel, fühle mich unverstanden und nicht gemocht. Andersrum bin ich aber genauso voller Lebensfreude, Tatendrang, bin fröhlich, lache, quatsche viel und habe Spaß. Es ist mal so und mal so.
Nun habe ich seit 2021 auch die Diagnose „Lipödem Stadium 2 Beine und Stadium 1 Arme“. Ebenso wie die Depression, schwanken die Symptome meines Lipödems – an manchen Tagen habe ich ausgeprägtere Schmerzen, an wieder anderen spüre ich es gar nicht. Was mir selbst bereits aufgefallen ist:
Habe ich einen schlechten Start in den Tag, habe ich oft auch begleitend Lipödem-Schmerzen. Bessert sich meine Stimmung im Laufe des Tages durch z.B. schöne Erlebnisse, schöne Momente mit lieben Menschen oder Sport und einem guten Workout, bessern sich auch die Schmerzen schlagartig bis hin zu gar nicht mehr vorhanden. Sicherlich kann dies auch am Sport liegen, ich bemerke es aber auch an psychisch guten, aber trainingsfreien Tagen. Das ist in meinen Augen kein Zufall. Ich habe beide Erkrankungen lange genug, um sie aufmerksam beobachten zu können.
Stress soll angeblich keine Ursache für die Entstehung eines Lipödems sein, könnte aber Schübe auslösen oder verstärken. Es gibt eine interessante Studie aus 2020. Diese zeigt, dass über 80% der dort befragten Lipödem-Patientinnen vor ihren erstmalig auftretenden, lipödembedingten Beschwerden (starken) psychischen Belastungen ausgesetzt waren, wie z.B. chronischer Stress, Depressionen, Essstörungen oder Burnout. Auch bei mir wurde die Diagnose Depression lange vor meiner Diagnose Lipödem gestellt.
Laut dieser Studie ist eine mögliche Erklärung, welche mir ebenso anhand meiner eigenen Erfahrungen plausibel erscheint, dass seelischer Stress unsere Schmerzwahrnehmung verstärkt. In depressiven, dunklen Momenten, in denen es unserer Seele schlecht geht, spüren wir körperliche Schmerzen, somit auch Lipödemschmerzen, viel deutlicher als in Momenten, in denen es uns gut geht, wir uns leicht und glücklich fühlen. Da nehmen wir Schmerzen oftmals gar nicht wahr oder stufen sie als „nicht schlimm“ ein.
Auszug aus der in Abschnitt 2 genannten Studie:
„52 % der Studienpatientinnen berichten über traumatische Erfahrungen wie Gewalt oder sexuellen Missbrauch in der Vergangenheit. Diese psychische Belastung trat jedoch bereits im Jahr VOR dem Auftreten der für ein Lipödem typischen Schmerzen auf. Wenn aber die gravierende psychische Belastung unmittelbar im Zeitraum vor der Entwicklung der lipödemtypischen Schmerzen auftrat, dann kann sie – rein formallogisch – nicht die Folge des Lipödems sein. Im Gegenteil: Wenn die gravierende psychische Belastung unmittelbar der Entwicklung der Schmerzen vorausgeht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie bei der Schmerzentstehung eine wichtige Rolle spielt.
Die Studie verdeutlicht auch die Zusammenhänge zwischen aktuellen psychischen Störungsbildern und lipödemassoziierten Schmerzen. „Patientinnen mit Lipödem-Syndrom, die aktuell an einer Depression, Angststörung, Essstörung oder Traumafolgestörung (PTBS) leiden, erleben ihre Schmerzsymptomatik signifikant stärker als jene ohne diese Störungsbilder“
Dies sagt aus, dass 52% der Patientinnen berichten, dass sie unter psychischen Belastungen leiden, welche sie bereits vor der Lipödem-Diagnose hatten, wie bei mir persönlich auch. Demzufolge kann die psychische Erkrankung also nicht die Folge der Lipödem-Diagnose sein, sondern sie bestand bereits davor. Es kann also sehr gut wahrscheinlich sein, dass die psychische Belastung eine wichtige Rolle bei der Schmerzentstehung des Lipödems spielt, also beim ersten Ausbruch und somit Entstehung des Lipödems.
Somit gehe ich mit der Annahme, dass Stress keine Ursache für die Entstehung eines Lipödems sein soll, persönlich nicht ganz konform. Wenn Stress unsere Symptome triggert und Schübe bei einem vorhandenen Lipödem auslösen kann, kann dann Stress nicht auch den „allerersten“ Schub auslösen? Für einen ersten Schub muss allerdings ein Lipödem erst einmal bereits in unserem Körper „geschlummert“ haben, also bislang unbemerkt vorhanden gewesen sein – das ist schon richtig. Wer sagt, dass Stress nicht auch für die Ansammlung von Lipödem-Fett an unseren Beinen, Hüften und Po verantwortlich sein kann?
Richtig – niemand sagt das. Es gibt meiner Recherche nach keine Internetseiten, keine Studien, keine Versuche, rein gar nichts, was etwas zu diesem Thema beweisen würde. Ich habe gesucht und gesucht. Es gibt nichts, was Stress als mögliche Ursache klar definieren würde, was aber in meinen Augen sehr sinnig erscheint. Psychisch gesund oder zumindest beschwerdefrei/-arm zu sein, hilft uns somit sehr, auch unsere Lipödemschmerzen gering zu halten.
Auch die Behandlung einer psychisch bedingten Essstörung und das „Aufhalten“ von Essen aus Frust, seelischem Schmerz und Unzufriedenheit ist ein wahnsinnig wichtiger Faktor und hat ebenfalls Einfluss auf unser Lipödem.
An dieser Stelle nun meine Frage an diejenigen unter Euch, die ebenfalls eine diagnostizierte Depression haben: Wie war das bei Euch? Was war zuerst da, das Lipödem oder die Depression? Wann habt ihr die ersten Lipödemsymptome bemerkt? Wie ist es bei euch an Tagen, an denen es Euch psychisch schlechter geht?
Ich hoffe abschließend sehr, dass sich in der Zukunft noch viel mehr für uns tun wird. Ich finde, auch Psychologen und Psychotherapeuten sollten auf das Lipödem bzw. auf die Psyche im Zusammenhang mit der Entstehung eines Lipödems viel besser geschult werden. Dafür müsste aber erst viel mehr in diese Richtung geforscht werden. Ich hoffe sehr, dass wir irgendwann einen ganz großen Sprung nach vorn erleben werden.
Liebe Grüße und weiterhin
Eure Sarah
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