Es war der 09.11.2016. „Sie haben ganz eindeutig Lipödem. Das sieht man sofort“. Ist das so? Bis wenige Monate zuvor hatte ich noch nie von dieser Erkrankung gehört. Bis dahin hatte ich meinen gesundheitlichen Zustand nicht einmal hinterfragt. Mehr dazu könnt ihr in meinem Beitrag „Man kann die Schmerzen nicht sehen Teil II“ lesen. Jetzt möchte ich euch erzählen, was sich seit dem getan hat. Vor allem in meinem Kopf.
Ich war nie dick. Nicht einmal pummelig. Gehänselt wurde ich auch nie. Und trotzdem fühlte ich mich nie hübsch. Wobei hübsch für mich gleichbedeutend mit schlank war. Betrachte ich Fotos von früher – wobei es nur seltene Exemplare mit mir büstenabwärts gibt – kann ich meine Gefühle von damals nicht nachvollziehen. Heute bin ich doch erst pummelig. Das zumindest ist, was mein Kopf mir meistens sagt. Auch die Waage spricht mit mir in einer Sprache, die ich wohl nur zum Teil verstehe. Egal welche Zahl darauf steht, sie ist zu hoch.
Inzwischen komme ich – auch dank der 30 Days Challenge – immer besser mit meinem Äußeren klar. Nicht nur, weil mir bewusst wird, dass ich weder dick noch pummelig bin, sondern vor allem weil ich lerne, dass das egal ist. Hübsch sein hat nichts mit dem Gewicht zu tun!
Da ich meine Gesundheit nie infrage gestellt habe, habe ich den unterschiedlichen Symptomen auch keine Bedeutung beigemessen. Dann hatte ich eben schnell blaue Flecken. Dann bin ich eben empfindlich und schreie auf, noch bevor mich jemand berührt. Das nervige Kribbeln und Zucken der Beine am Abend ist wohl normal, schließlich habe ich das ja schon „immer“. Mit Erhalt der Diagnose habe ich plötzlich auf jedes kleine Bisschen in meinem Körper geachtet. Da hat’s gezuckt – gehört das zum Lipödem? Kommt da ein Schub?
Plötzlich war ich krank. Joggen kann ich nicht, ich hab doch Lipödem. Abends ausgehen kann ich nicht, ich hab doch Lipödem. Glücklicherweise hielt diese Phase nicht allzu lange an. Hier und da ist das Lipödem die Begründung dafür, dass ich etwas nicht machen kann. Zum Beispiel kann ich unsere Patenkinder manchmal nicht auf dem Schoß halten. Dann sind mir die aktuell um die 10 kg zu schwer. Früher hätte ich die Schmerzen einfach ausgehalten. Heute weiß ich, dass das nicht sein muss. Und wenn ich einen schlechten und schmerzvollen Tag habe, komme ich mir nicht mehr blöd vor, eine Verabredung abzusagen.
Zugegeben, ich war früher nicht immer nett. Schnell habe ich mir ein Urteil über jemanden gebildet, ohne auch nur ein Wort mit ihm (oder ihr) geredet zu haben. Schubladen hatte ich genug in meinem Kopf. Der ist dick, der isst zu viel. Der spricht viel über seine „Wehwehchen“, ein Jammerlappen. Der beklagt sich über Stress, der hält eben nichts aus. Auch zu mir war ich nicht netter, das möchte ich dabei schon noch sagen.
Neben der üblichen Gefühlsachterbahn die viele von uns durchleben, hatte ich gerade zu Beginn der Diagnose ein furchtbar schlechtes Gewissen. In Gedanken habe ich mich bei jedem entschuldigt, über den ich schlecht gedacht habe ohne seine Situation zu hinterfragen. Auf meine „Ich-bin-krank-und-kann-nichts-machen“-Phase folgte eine „ich-bin-ein-furchtbarer-Mensch-und-habe-es-nicht-anders-verdient“-Phase.
Inzwischen habe ich mir verziehen – haben wir doch alle unsere Schubladen im Kopf. Und schon immer habe ich jedem die Chance gegeben, aus seiner Schublade herauszukommen. Heute stecke ich einfach niemanden so schnell herein – alle bleiben vor dem Schrank stehen, bis ich sie kennengelernt habe.
In den letzten Jahren habe ich viel dazu gelernt. Und ich bin wirklich dankbar dafür!
Wie ist es bei Dir? Was hat sich bei Dir durch die Diagnose geändert? Ich freue mich, von Deinen Erfahrungen zu lesen!
Deine Kathi
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8 Responses
Danke, dass du so ehrlich bist und das mit uns teilst. Ich finde mich da sehr wieder.
Auf der einen Seite ist es natürlich schade, wenn Du Dich darin wiederfindest. Andererseits ist der Beitrag genau dafür gedacht, dass man sich nicht alleine fühlt bei diesem Gedanken-und Gefühlschaos.
Alles Liebe!
Super Artikel! Ich finde mich ebenfalls wieder. Dazu sehe ich bei jeder Frau auf die Beine und versuche festzustellen, ob sie ebenfalls ein Lipödem hat. Es ist immer da.
Trotzdem denke ich, dass ich meine Einstellung zu anderen Menschen stark geändert habe.
Vielen Dank für deinen super Beitrag 🙂
Hallo Jenny,
Danke für Dein Lob 🙂
Ich bin gespannt, wie vielen es noch so geht.
Liebe Grüße
Hallo , ich habe bis vor ein paar Tagen noch nie davon gehört. Ich war beim Arzt und er hat mir bestätigt das auch ich Lipödem habe. Ich bin so froh endlich zu wissen was mit mir los ist. Dabei hat mir der Artikel sehr geholfen. Danke dafür.
Hallo Silvia,
natürlich ist es schade, dass Du die Erkrankung hast, aber ich freue mich wenn ich – und auch alle anderen hier bei FRAUENSACHE – Dir weiterhelfen kann/können!
Lies Dich ganz in Ruhe ein und wenn Du Fragen hast, dann stell sie uns gerne 🙂
Alles Liebe
Ich habe bei mir festgestellt, dass ich seit der Diagnose verständnisvoller und rücksichtsvoller mit mir und meinem Körper umgehe.
Hallo! Toller Artikel. Ich habe auch die Diagnose Lipödem bekommen und habe ständig Zuckungen in den Beinen. Mein Arzt hat sich aber zu dem Zucken nicht geäußert. Weißt du, ob das mit dem Lipödem zusammenhängt? Im Internet wird das bei den Symptomen nicht erwähnt.
Danke im Voraus.