„Hahahahahahahaha“ – fast schon mit Lachtränen in den Augen saß mein Hausarzt damals vor mir, als ich ihn fragte, ob ich ein Lipödem haben könnte. „Nein, sowas ist ganz selten und du hast es bestimmt nicht“. Dabei war ich so dankbar, als mein Dozent mich in der Ausbildungszeit zur Seite nahm und mir erzählte, dass er eine Schülerin mit Lipödem habe und er sich vorstellen könne, dass ich es auch habe. Es gab etwas, dass die Umfangszunahme an meinen Beinen erklären könnte! Ich war nicht komplett alleine schuld! Und dann kam mein Hausarzt. Das war der letzte Besuch bei ihm. Er konnte nicht wissen, dass ich mich seit einigen Jahren mit Schmerzen, schweren Beinen, blauen Flecken und jeder Menge dummen Sprüche wie „DU HAST EINEN GANZ FETTEN ARSCH!!!“ (aus Autos herausgerufen) beschäftigte und mich fürchterlich für meinen Körper schämte. Ich spielte aktiv Handball in der Oberliga und machte somit fünfmal die Woche Sport, nahm dabei aber trotzdem regelmäßig zu. So fühlte ich mich von ihm allein gelassen und für dumm gehalten.
Als ich endlich einen Termin bei einem Gefäßchirurgen hatte, der mir das Krankheitsbild bestätigte und ich daraufhin einen Termin in einer Klinik machen konnte, um mich weiter zu informieren, fiel eine Last von mir ab. Zu der Zeit war das Lipödem kaum bekannt und es gab die beiden Optionen „OP machen lassen“ oder eben „damit leben“. Keine Lymphdrainagen, keine Kompression oder andere Therapien. So stand mein Entschluss schnell fest und ich nahm mit Anfang 20 einen Kredit für die 4 OPs auf, denn ich war innerhalb von einem halben Jahr von Stadium 2 auf 3 gegangen und hatte mittlerweile eine Kleidergröße von 46 unten (und 38 oben herum). Für mich gab es keine andere Option, da auch die Schmerzen schnell zunahmen. Allerdings würde ich es heute anders angehen, doch davon mehr im nächsten Beitrag.
So fuhr ich ambulant zur OP. Mir wurden die Einstichstellen lokal betäubt, dann wurden kleine Schnitte gesetzt und dadurch wurde der Stab mit der betäubenden Flüssigkeit eingeführt. Nicht sonderlich angenehm, aber wie Du siehst, habe ich es überstanden. Allerdings bin ich froh, dass heute die meisten mit einer Vollnarkose operiert werden (wobei diese den Körper stark belastet und im Nachhinein im Abbau unterstützt werden darf).
Die erste OP war für mich völlig okay, da nur die Unterschenkel und damit wenig Volumen herausgenommen wurde. Bei den nächsten OPs hatte ich hinterher sehr mit dem Kreislauf zu kämpfen, was sich aber nach 2 Tagen wieder eingespielt hatte. Was einem niemand sagt: es sickert nicht ein bisschen Gewebsflüssigkeit aus den Wunden, sondern wenn man sich passend setzt, sieht der Toilettenraum aus, als wäre ein Schwein abgestochen worden! Bei 3 Stunden Autofahrt nach der OP musste ich doch ein paar Mal. Den einen Toilettenraum musste ich fast grundreinigen, da alles aus den Wunden herausgespritzt war. Was auch niemand sagt: Narben sind Störzonen, die jahrelang nach dem Trauma/der OP Probleme auslösen können, die nicht mal unbedingt direkt an der Narbe sein müssen. Auch gibt es nach den Operationen häufig Wassereinlagerungen. Die OP-Technik ist nicht besonders behutsam, d.h. es werden viele Gefäße im Inneren gereizt und teilweise zerstört. Ich z.B. hatte vor den OPs ein reines Lipödem, heute habe ich ein Lip-/Lymphödem und häufiger Wassereinlagerungen – manchmal bis in die Füße.
Auf diesem Bild bin ich 13 Jahre alt und noch komplett ohne Lipödem. Zwei Jahre später hatte ich bereits Stadium 2.
Nichtsdestotrotz: Die Heilung ging gut voran, ich bin jeweils nach 3 Tagen wieder zur Arbeit gegangen und habe nach 2 Wochen wieder Handball gespielt. Sicherlich nicht der beste Sport für die Heilung – mir tat es aber gut. Das Ergebnis nach den OPs: 3 Kleidergrößen weniger, deutlich weniger Schmerzen und immer noch Knoten, schnell blaue Flecken und Dellen. Heute sage ich: Die OP würde ich mit dem Wissen von damals immer wieder machen, aber die Ursache löscht sie nicht und alle Symptome sind dadurch auch nicht verschwunden. Heute würde ich andere Maßnahmen vorziehen. Mein Körpergefühl hat sich nicht deutlich verbessert: Ich sehe mich immer noch in der Konfektionsgröße 44. Das ist ein wichtiger Prozess, den wir nicht unterschätzen dürfen: Wir sind wundervolle, starke Frauen, die nicht nur aufs Lipödem reduziert werden sollten – wir haben Herz und Verstand!
Du, liebe Leserin, bist eine fantastische Frau und musst Dich garantiert nicht über dein Krankheitsbild identifizieren.
Das Gewicht ging nicht soweit runter, wie ich es gerne gehabt hätte. Also machte ich eine Diät, in der ich mich sehr geißelte und nach einiger Zeit voll im Nährstoffmangel war. 12 kg waren zusätzlich weg, aber gesund fühlte ich mich nicht.
Heute sieht das ganz anders aus: Ich habe viel über den Darm, die Ernährung und Entgiftung recherchiert, habe keine Knoten mehr und ein leichteres Gefühl. Wie ich da hinkam, erzähle ich Dir in meinem nächsten Beitrag.
Was ich Dir nochmal sagen möchte: Die OP muss nicht Deinen Weg bestimmen und sie sollte auch generell nicht der einzige Weg sein. Sie darf ein Teilbereich sein und Dich unterstützen. Doch die anderen Aspekte wie Dein Mindset, Deine Darmflora, eine gute Entgiftung, Deine Bewegung, eine gute Kompression und so vieles mehr spielen meiner Meinung nach eine mindestens genauso große Rolle.
Sei Du selbst und lass uns gemeinsam anderen Lipödemheldinnen Mut machen!
Deine Corinna
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4 Responses
Heute wäre die Aufklärung zur OP besser und die Vorbereitungen bzw. Vorraussetzungen müssen geschaffen sein, wie das Tragen der Kompression und MLD mindestens ein halbes Jahr vorher.
Vielen Dank liebe Corinna für deine aufmunternden Worte. Ich habe Stadium 3 und kann nicht operiert werden aufgrund einer Herzschwäche. Ich bekomme jetzt neue Kompressionen und hoffe, daß das schon etwas hilft
Ich habe meine Liposuktion vor 4 wochen abgesagt bzw verschoben. Melanies Beitrag hilft mir, noch einmal gründlich alles zu bedenken. Über 14 000 Euro sollte es kosten.
Schöne adventstage Euch allen, die Ihr mit diesem Scheiß Leben müsst!
Vroni
Hallo Corinna,
Ich mittlerweile (66) lebe seit 2003 als ich erst einmal zufällig davon erfahren habe Lipödem. Wirklich angefangen hatte es 1991 nach der Geburt unseres Sohnes. Mittlerweile habe ich mich mit meinen Freund „Lipödem“(St.3) ein gutes miteinander. Nach ich glaube 3x Reha die mir weit gehend gut taten habe wieder eine eingereicht jedoch die AOK stäubt sich mir eine Reha zu geben (bereits 2x Ablehnung) nun habe ich das Sozialgericht eingeschaltet mal sehen. Des weiteren bekomme ich 2x die Woche Lymphdrainage a‘ 60 Min. Kompressionsstrümpfe. Mein Phlebologe ist kaum an mich interessiert aber meine Lymphdrainagen, Kompressionsstrümpfe u.s.w. bekomme ich verordnet. Da ich noch nie eine OP machen lassen wollte auf Grund zwei Damen in meiner Selbsthilfe Gruppe die wirklich vermurkst aussehen Dellen an den Beinen das es einen schl…..wird. Dafür auch Kredit aufgenommen. Eine schöne Weltreise ist mir für das Geld lieber. Ich kann von mir sagen es hat sich seit vielen Jahren nichts bei mir geändert. Weder mehr noch weniger Schmerzen noch dickere Beine u.s.w. Ich kann gut damit leben da ich auch sonst kaum Einschränkungen für mein Leben habe. Bei mir ist es so mein „Ich“ die psychische Einstellung nicht soviel nachdenken es annehmen wie es ist. Wirklich helfen kann dir Niemand. Stabilisierung durch Reha um ein wieder besseres Lebensgefühl zu bekommen und Anregungen für den Alltag, gesunde Ernährung, Bewegung wie es einen gut tut, und vor allem „Leben lassen“.
Auch für den modischen Chic gibt es was. Nur einmal schauen.
Mit lieben Grüßen an alle Betroffenen Frauen
Petra H.