Hallo ihr Lieben,
mein Name ist Ramona, ich bin 35 Jahre alt und leide an einem Lipödem sowie an einem primären Lymphödem.
Viel zu viele Kalorien auf viel zu großem Teller, zu viel Fett und Zucker. Was passiert, wenn Nährstoffe, Nahrung und Zahlen unser Leben im Alltag bestimmen? Ich kann Euch zumindest davon berichten, wie es mir damit erging und wie ich heute mit dem Thema Ernährung umgehe.
Du musst abnehmen!
Du frisst zu viel!
Beweg dich mehr…
Das sind nur drei der meist genannten „Ratschläge“, die stabile Mädchen und Frauen erhalten. Oft von anderen Frauen.
Ist es nicht komisch? Wären wir alles Männer, würde man das nicht sagen. Dann hieße es, ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel, ein Mann braucht Bauch, an dem kann Frau sich ankuscheln. Abnehmen muss der Mann nicht. So ein Wohlfühl- oder Bierbauch gehört zum Mann.
Immer wieder muss man aber als Frau hören: Du solltest unbedingt eine Magenverkleinerung machen, Dich bei Biggest Loser anmelden oder in eine Reha gehen um abzunehmen. Solltest nicht soviel Essen und dich mehr bewegen, na, wie wär’s?
Doch niemand sagt einem, wie man am besten abnimmt. Die einen sagen kein Zucker, die anderen sagen kein Fett, wieder andere sagen, keine Kohlenhydrate und wiederum andere sagen kein Fleisch.
Was bleibt den dann noch?
Das fragt man sich oft und steht alleine da. Wenn man den Mut bis jetzt noch nicht aufgegeben hat, fängt man eben an, zu experimentieren.
Als ich die oben genannten Ratschläge erhielt, lebte ich noch bei meinen Eltern, war Ende meines 16. Lebensjahres und wog 70 kg.
Ja, da war wirklich zu viel Fett an mir, besonders an den Oberschenkeln (die auch noch täglich schmerzten). Mit meinen Eltern drüber reden – tja, das kam nicht in Frage. Sorgten sie doch dafür, dass wir zu Essen im Haus hatten, meine Mutter kochte und stellte sich teilweise noch abends an den Herd, damit wir alle zusammen essen können. Nudeln, Kartoffeln, Fleisch, Hähnchen… lauter leckere Sachen mit viel Fett drum herum. Moment, das waren doch alles Sachen, die ich eigentlich nicht mehr essen sollte, oder? Also wie um Himmels Willen soll ich die überschüssigen Pfunde nun los werden, wenn zuhause immer getafelt wird? Meine Mutter hat sich doch viel Mühe gegeben und es schmeckte mir, aber es war nun mal „verboten“.
Da ich in Biologie immer gut aufpasste, wusste ich, dass die Nahrung Zeit braucht, um vom Körper verarbeitet zu werden – bis das Fett und der Zucker an den Hüften, am Bauch und an den Oberschenkeln sind, vergehen teilweise mehrere Stunden. Da kam mir die Idee: Essen und anschließend Erbrechen. Also aß ich mit, ließ mir nichts anmerken. Nach dem Essen schnell den Tisch abgeräumt und ins kleine Klo gegangen. Das Klo war weit genug von der Küche entfernt.
Hier war ich also nun. Wie zum Teufel soll ich mich nun übergeben? Mir war ja nicht schlecht. Ich hatte nur ein schlechtes Gewissen meinem Körper gegenüber, weil ich ihm nun Lebensmittel zufügte, die eigentlich Gift für ihn waren. Ich trug eine Zahnspange, beim Kieferorthopäden musste ich schon immer würgen, wenn sie mit ihren Fingern in meinem Mund zugange waren. Ich hatte also nun die Idee, wie ich alles wieder rausbekommen könnte. Ich hockte mich hin und schob mir meine Finger soweit wie möglich in den Mund, bis zum Hals. Ich übergab mich. Schnell de Klospülung betätigen, bevor doch jemand etwas hört.
Das erste Mal war gewiss eine Überwindung, aber mit jedem Mal wurde es einfacher. Wenn dann doch mal jemand etwas mitbekommen sollte, würde ich behaupten, dass mir einfach schlecht geworden war, dass ich schon den ganzen Tag einen flauen Magen hätte.
Essen und Erbrechen das waren meine einzigen Gedanken die ich hatte, wenn es um Nahrungsaufnahme ging. Mein Pausenbrot in der Schule schmiss ich weg. In Hauswirtschaft weigerte ich mich zu essen. Zwei Wochen hielt ich super aus. Doch ich bekam Kopfschmerzen, Schwindel und war ständig kraftlos. Ich nahm es in Kauf, ohne zu wissen, das mein Körper mir Warnsignale schickte. In der Schule war ich im Sanitätsdienst, hatte sogar Rettungsschwimmen als Wahlfach.
Bewegung war gut und wichtig, um erfolgreich abzunehmen. Ich meldete mich noch zum Mädchenturnen an. So hatte ich insgesamt vier mal die Woche Sport.
Ich war eigentlich nie faul und bewegte mich immer gerne. Es verging der erste Monat. Meine Eltern und Geschwister bemerkten nichts.
In der Schule lief soweit auch alles gut.
Es war Sommerferien-Zeit. Immer vor den großen Ferien wurde etwas unternommen, z. B. Frühstück mit der Klasse, gemeinsam Kochen oder Pizza bestellen.
Es sollte Pizza für alle bestellt werden. Ich bestellte zum Schein eine Salami-Pizza. Da stand sie dann vor mir. Ich musste schon vorher würgen, aber konnte es gekonnt unterdrücken. Das lernte ich recht zügig. Ich aß von der Pizza, die Hälfte war weg, mit Tränen in den Augen schaute ich den Rest an. Den konnte ich nicht auch noch essen. Ich rannte so schnell ich konnte zum Mädchenklo und übergab mich schwallartig.
Ich rannte also zum Klo. Auf dem Weg dorthin rannte ich an meinem Rettungsschwimmer-Lehrer vorbei. Er rannte mir hinterher und war vor Ort. Nachdem ich mich übergeben hatte, brach ich heulend in seinen Arme zusammen. Ihm konnte ich vertrauen, das wusste ich schon immer. Ich erzählte ihm von der Bulimie, dass ich es nicht mehr aushalten würde und wie schlecht ich mich fühlte. Ich erzählte ihm, dass ich erst fünf Kilo abgenommen hatte und es einfach zu wenig war. Ich hätte doch schon mindestens 15 bis 20 Kilo abnehmen müssen, um eine tolle Figur zu bekommen. Er hielt mich einfach im Arm und hörte zu. Er sagte mir, dass er meine Veränderung mitbekommen hätte, dies aber auf das Erwachsenwerden und die Pubertät zurückgeführt habe.
Wir standen wieder vom Boden auf und gingen in den Saniraum. Er maß meinen Blutdruck, der völlig im Keller war. Mein Blutzucker war ebenfalls erniedrigt, jedoch nicht nennenswert.
Er rief bei mir zuhause an und meine Mutter kam.
Ich bekam Hilfe und lernte, wieder normal zu essen. Ich nahm wieder zu. Unbemerkt wurde es immer mehr. Mit 18 Jahren wog ich dann plötzlich 80 kg.
Ich zog zuhause aus, zu meinem Partner der mich so liebte wie ich war.
Ich fühlte mich schön und geliebt. Ich hatte jedoch nie gelernt, für mich und nur eine Person zu kochen. Also kochte ich immer für eine ganze Familie und aß über den Tag verteilt immer mehr.
Eine neue Essstörung machte sich unbemerkt breit. Essen wurde zur Leidenschaft. Jedoch machte mir diese Essstörung nicht viel aus.
Ich nahm immer mehr zu. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich mich dann nur noch hässlich und eklig fand, ich wollte nicht mehr raus und etwas unternehmen; schämte mich und versteckte mich hinter dem Essen.
Ich fing an, auf einer Kinder- und Jugendfarm zu arbeiten. Meine Chefin sprach mich an und erzählte über das Lipödem. Lipödem? Hab ich nicht, ich esse zu viel – so lautete mein erster Gedanke. Ich verschwendete keinen Gedanken mehr an diese Erkrankung.
Ich hatte schon ein paar Male wieder versucht abzunehmen. Mit mäßigem Erfolg. Die dicken Oberschenkel blieben. Ein JoJo-Effekt wurde ausgelöst. Ich hatte nie gelernt, was „richtiges“, gesundes Essverhalten eigentlich ist.
Ich rief bei einer Ernährungsberatung an und machte einen Termin. Das ziemlich Erste, was ich zuhören bekam war: „Sind Sie mit dem Lipödem schon in Behandlung?“ Da war es wieder, das Lipödem. Ich verneinte, weil ich ja nie beim Arzt gewesen war deswegen. Sie gab mir ein paar Adressen und sagte, sobald ich die Diagnose habe, solle ich mich melden dann würden wir weiterschauen.
Ich saß also beim Arzt und ja, dieser bestätigte das Lipödem im Stadium 2 bis 3. In den Beinen, Armen und Hüfte sowie Po.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, Bäche brachen ein. Ich war also nicht alleine schuld. Es gab einen Grund für mein Aussehen.
Zurück zu meiner Ernährungsberatung erzählte ich ihr von der Diagnose, der Behandlung. Endlich konnte ich es verstehen. Zusammen mit ihr tüftelte ich an einer mir angepassten Ernährungsform. Ich durfte von allem essen, musste jedoch etwas genauer auf die Kalorien blicken und diese berechnen. Das war alles. Ich nahm tatsächlich ab. Irgendwann war ich jedoch nicht mehr diszipliniert genug und nahm wieder zu. Ich wusste jedoch, mit Disziplin werde ich auch das wieder los. Ich wusste ja nun wie es geht.
So nahm ich in den letzten sechs Jahren auf gesunde Weise ab, Stück für Stück. Ich muss auf nichts verzichten und darf alles essen – in Maßen. So habe ich gelernt, mich mit meinem Körper auf gesunde Weise auseinanderzusetzen und mittlerweile geht es mir gut damit.
Eure Ramona
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9 Responses
Vielen Dank für deinen tollen und mutigen Beitrag.
Nicht viele berichten von ihrer Essstörung und schämen sich sogar.
Ich persönlich bin klein und zierlich, wiege 69,5 Kilo auf 1,66 m und bin keinesfalls übergewichtig. Mein Kopf sagt mir aber immernoch das Gegenteil, danke Lipödem.
Ich gehe davon aus, dass ich wohl magersüchtig bin, da ich ab einem gewissen Punkt einfach aufgehört habe zu essen.
Aber auch das bekomm ich noch in den Griff💪
Nur wäre es sehr schön, wenn einem die tollen Fachärzte nicht immernoch sagen würden, dass man noch 5 Kilo schaffen kann…
Wir sollten uns alle zumindest ein wenig mehr akzeptieren.
Und du hast das schon super hinbekommen. Meinen Respekt dafür!
Liebe Grüße!
Hallo Ihr lieben Lipödemkämpferinnen,
Ich bin die Bettina und leide ebenfalls an einem Solchen. Nun möchte ich mal fragen: Gibt es auch ältere Damen ( ich bin 60 plus ), die an dieser Krankheit leiden und was sie dagegen tun. Herzliche Grüße an euch alle.
Hallo Ramona ,
erstmal zu dir , großartig dein Bericht , Hut ab , ich war ganz begeistert von deiner Persönlichen Geschichte , wünsche dir alles für die Zukunft .
Nun zu dir Bettina ,
ja es gibt noch eine Dame hier , ich bin 66 Jahre und habe auch mit dem Lipödem zu tun und das zwar nun doch schon auch sehr ausgeprägt , ja im Moment hänge ich doch durch , mein gutes ist , ich gehe fünfmal zum Schwimmen , wenn ich auch nicht der Leistungsschwimmer bin , doch ich merke immer wenn ich am Montag gehe , wie gut einfach Wasser ist , den es trägt und gleichzeitig leichte Massage und das schöne im Bad ist da , das alle mich dumm ansehen , sondern man freut sich und redet ein paar Worte miteinander , ist wie eine Schwimmbadfamilie geworden , das ist dann für die Seele gut denn ansonsten , wie wir ja alle wissen , nicht einfach . Wenn du magst können wir ja über E-Mail in Kontakt kommen .
Grüße an euch alle tapferen Mädels
Hallo Bettina, ich bin 60 Jahre und habe Lipödem II und Lymphödem.
Seit 2008 bin ich in Behandlung, habe seitdem zu- und abgenommen. Mit 155 cm und 103 kg habe ich Adipositas III.
Trotzdem mache ich viel Sport wie Wandern, Schwimmen und Radfahren. Diäten mache ich keine mehr, der Jojoeffekt (unter anderem) hat mich hier her gebracht. Aber ich habe regelmäßig Lymphdrainagen und habe mir für Urlaub und zwischendurch, wenn es mir schlechter geht, ein Lymphapressgerät mit Hose bei Ebay gekauft.
Nach so langer Zeit habe ich jetzt endlich den Mut gefunden bunte Kompression zu tragen und über meine Erkrankung zu reden. Ich bin oft bestürzt, dass selbst gute Freunde dann skeptisch reagieren und meinen, das wäre eine Ausrede für meine Figur. Schade, aber egal. Mein Mann ist auch sehr übergewichtig, ich sage immer, er macht das mir zu liebe 😉
Liebe Grüße von Sabine
Und egal was kommt ich werde dich immer lieben.
Ich stehe hinter dir und hab dich auch lieb egal wie du bist und aussieht. Ich bin für dich da Ramona.
Ich freue mich, dass es diesen Blog gibt. Ich werde im nächsten Jahr 70 und leide schon seit vielen Jahren an dem Lip-und Lymphödem. Nach der Geburt meines Sohnes 1978 ging es richtig los und obwohl ich gar nicht so viel gegessen habe, nahm ich immer mehr zu. Keiner kannte damals dieses Krankheitsbild und ja, es gab immer die Bemerkungen das ich weniger essen sollte.
Gott sei Dank habe ich vor ca. 10 Jahren eine super Venenärztin gefunden, die sich mit meinem Krankheitsbild beschäftigt hat und mir entsprechend Physiotherapie verschrieb. Und nicht nur 6x, sondern immer gleich 20x.
Sie hat mich auch zur Diabetologin geschickt, denn ich wollte auf keinen Fall eine Magenverkleinerung.
Die Diabetologin war meine Rettung.Sie verschrieb mir OZEMPIC. Eine wöchentliche Spritze in die Bauchdecke. Und ich sage euch, seit Januar habe ich im Moment 14 kg abgenommen. Am Anfang hatte ich etwas Probleme, aber das hat sich schnell gegeben.
Man hat einfach keinen Hunger mehr, und wenn man zu viel oder zu fettiges Essen zu sich nimmt, wird einem schlecht.
allerdings gibt es dieses Medikament nur verschrieben, wenn der BMI über 40 ist.
Ich denke, wenn ich weiter so gut abnehme, habe ich mich an die Ernährungsumstellung gewöhnt und brauche dann die Spritzen nicht mehr.
Auf jeden Fall kann ich mich schon viel besser bewegen und Treppen steigen ist auch nicht mehr so problematisch.
Ich wünsche Allen eine schöne Vorweihnachtszeit.
Hallo Heike, welche Erfahrungen hast du zum Lipödem mit den Ozempic?
Hallo Ramona,
danke für Deinen so ehrlichen Beitrag. Er passt gerade wieder zu dem, was ich gestern erlebt habe.
Ich bin nach meinem Umzug bei einer neuen Hausärztin gewesen und natürlich wurde ich wieder mal darauf hingewiesen, dass mein BMI über 30 liegt und es gut wäre, wenn da noch Gewicht runter käme. Mir setzen solche Aussagen immer echt zu, zumal ich sehr diszipliniert esse und trotz Rheuma und Lipödem versuche, immer mehr in Bewegung zu kommen.
Ich habe schon gedacht, diese Ärzte mit ihren mal eben so rausgeschleuderten Aussagen, ohne die genaue Situation zu kennen, treiben mich noch in eine Eßstörung. Vor ein paar Jahren hatte ich schon mal ein ziemlich schlechtes Verhältnis zum Essen, wo ich nicht genießen konnte und nur noch Nährwerte in meinem Kopf waren. Zum Glück habe ich das überwunden, aber solche Aussagen werfen mich wieder zurück. Und machen jeden Erfolg bisher zunichte. Aber ich will mich nicht unterkriegen lassen, von keiner chron. Krankheit und von keinem Arzt.
Geh Du auch weiter Deinen Weg, liebe Grüße, Viola