Ich gehe jedes Jahr zur Krebsvorsorge und meine Gynäkologin hat mir weiterhin die Antibabypille verordnet. Erst eine Kollegin gibt mir den Denkanstoß, dass ich mit fast 50 Jahren vielleicht doch mal die Pille absetzen könnte, weil ich diese eventuell gar nicht mehr benötige. Tatsächlich habe ich bisher überhaupt noch nicht darüber nachgedacht. Also setze ich im August 2016, mit 50 Jahren, die Antibabypille ab. Bis zu diesem Zeitpunkt ist mir gar nicht bewusst, dass ich mich bereits in den Wechseljahren befinde, denn ich habe keinerlei Beschwerden. Logisch, da ich durch die Hormone der Pille gesteuert war. Aber da war es nun in meinem Kopf: das Thema Wechseljahre.
„Da nimmt man zu, wenn man nicht aufpasst“. Das ist, was ich höre und auch darüber lese. Also heißt es wieder: Ernährung umstellen. In den Wechseljahren sollte man viel Gemüse, Ballaststoffe, pflanzliches Eiweiß, kaum Fleisch und wenig Kohlenhydrate essen. Also gut. Überwiegend esse ich nur noch Dinkelmehl, Weizenmehl so gut wie gar nicht, Ingwer und Zimt sollen den Stoffwechsel ankurbeln. Mandeln, Leinsamenöl, gesunde Fette – was man halt so liest. Schon verrückt, oder? Ich habe die Hormone abgesetzt und schon geht das Kopfkarussell los, dabei ist noch gar nichts passiert. Gewichtszunahme möchte ich nicht, also am besten zusätzlich zur Ernährungsumstellung mehr Sport in Form von Cardiotraining machen. Mein ganzheitliches Ganzkörpertraining mache ich ja mit Pilates.
Total fokussiert auf meinen Körper und die Wechseljahre suche ich also nach einer Möglichkeit Cardio-Training zu absolvieren, um bloß nicht zuzunehmen. Fahrrad fahren und Step-Aerobic, das ist gelenkschonend und mit Musik genau passend für mich. Das denkt mein Kopf, mein Körper ist aber anderer Meinung. Denn nach dem Step-Aerobic-Training hatte ich dicke Kniekehlen, dicke Knöchel und Wadenschmerzen. Da nutzte es auch nichts, die Beine hochzulegen und Wechselduschen nach dem Sport zu machen. Tatsächlich bringt das Absetzen der Antibabypille und insgesamt die hormonelle Umstellung meinen Körper in den nächsten 12 Monaten ganz schön durcheinander. Hinzu kam dann auch noch beruflicher, existenzieller Stress. Familiäre Sterbefälle mit Sterbebegleitung brachten mich psychisch, emotional und körperlich an meine Grenzen.
Wieder einmal eine schwierigere Lebensphase und das Lipödem nimmt Fahrt auf. Doch durch all diese Ereignisse und die Herausforderungen baue ich gesundheitlich immer mehr ab. Ich bin am Ende völlig erschöpft und kraftlos. Das Ganze endet im Juni 2017 mit einem Kreislaufkollaps, bei dem ich fast in der Notaufnahme gelandet wäre. Ich habe auch mehr Probleme mit den Lymphen. Meine Beine schwellen immer schneller und mehr an. Eine Handbreite über dem Knöchel bleibt die Schwellung dauerhaft. Immer mehr Spannungsgefühl und Schmerzen in den Beinen. Auch die Kraft in den Beinen lässt mehr und mehr nach, was ich allerdings auf meinen schlechten Allgemeinzustand zurückführe. Neu dazu gekommen sind geschwollene Augen, eine allergische Reaktion, denke ich. Ansonsten sehe ich im Gesicht eher ausgezehrt und müde aus, während meine Beine und jetzt auch meine Arme mehr Umfang entwickeln. Mein Gewicht hat sich dennoch nicht verändert.
Im August 2018, also mit 52 Jahren, habe ich so dicke Beine und Füße, dass ich meine Sandalen ausziehen muss, weil alles total einschnürt. Gesundheitlich geht es immer mehr bergab, so kann es nicht weitergehen.
Ich lasse mich medizinisch komplett durchchecken, dabei wird eine Anämie diagnostiziert. Natürlich möchte ich auch nochmal meine Phlebologin von damals aufsuchen, doch Fehlanzeige. Telefonisch absolut nicht erreichbar, keine Antwort auf meine Terminanfrage per E-Mail. Also geht die Suche nach einem neuen Facharzt los. Leider gibt es in unserer Umgebung nur sehr wenige Phlebologen. Ich habe genau zwei Kontaktdaten. Nummer 1: Termin in einem Jahr. Nummer 2: Gefäßchirurgie in einem Krankenhaus. Ich erhalte einen Termin für den 14.12.2018 und bin damit erst einmal zufrieden.
Es ist kalt am 14.12.2018. In der Gefäßchirurgie des Krankenhauses geht es sehr hektisch zu. Typisch Krankenhaus halt. Als erstes wird die Venenmessung an meinen Beinen durchgeführt, „Sie können gleich in das Zimmer zu Frau Dr. H. wechseln, Schuhe und Strümpfe können Sie auslassen“. Ich bin nervös. Dann werde ich in den nächsten Raum geführt. Dort begrüßt mich Frau Dr. H. mit ihrer Assistentin sehr nett und freundlich, trotz dem ganzen Stress und der nicht gerade einladenden Umgebung. Ich werde auf der Behandlungsliege platziert. Frau Dr. H. warnt mich vor, bevor sie meine Beine abtastet. Als erfahrene Ärztin kennt sie wohl den Berührungsschmerz der meisten Lipödem-Patientinnen. Diesen habe ich allerdings, zum Glück, nicht. Danach macht sie noch einen Ultraschall.
Dann sagt sie: „Sie haben ein Lipödem. Das ist eine Fettverteilungsstörung. Der Umfang kommt nicht vom Essen, das sieht man, und dass Sie Sport machen auch“, sagt Frau Dr. H. „Da kann nur eine Liposuktion helfen, wahrscheinlich würden Sie danach auch noch eine Hautstraffung benötigen.“ erklärt die Ärztin. „Eine Fettabsaugung?“ frage ich. „Das kommt für mich nicht in Frage, ich hatte noch nie schöne Beine und Miniröcke trage ich mit über 50 Jahren auch nicht mehr!“
Meine Füße sind an diesem Tag schlank, da wir Winter haben und es kalt ist. Ich konnte Frau Dr. H. aber ein Foto auf meinem Handy zeigen, wie dick meine Füße im Sommer waren. „Ich verordne Ihnen eine Flachstrickstrumpfhose mit dem Fuß.“ sagt Frau Dr. H. Sie klärt mich darüber auf, dass es, um die Beschwerden zu lindern absolut unumgänglich ist, ab sofort eine flachgestrickte Kompressionsstrumpfhose zu tragen. Ich soll weiter Sport machen, sanfte Sportarten, auf keinen Fall joggen. Ich weiß noch, dass ich in diesem Moment wirklich erleichtert und tatsächlich richtig glücklich war, dass es eine Diagnose für diese Beine gab. Ich kann gar nichts für meine Beine. Dass Kompression bei Ödemen hilft, war mir natürlich bekannt, dass ich in einer Strumpfhose lande, habe ich allerdings nicht erwartet. „Wie sieht es mit den Armen aus?“ fragt Frau Dr. H. „Sie sind etwas dicker geworden, aber Beschwerden machen sie mir nicht“, antwortete ich. Sie überreicht mir eine Verordnung mit der Diagnose: Lipödem Stadium I – Lymphödem Stadium II. Den Rat bzw. die Verordnung über Lymphdrainage habe ich nicht erhalten.
Nun hatte ich zum ersten Mal bewusst die Diagnose Lipödem, nicht nur in meinem Körper, sondern auch in meinem Kopf. Ganz anders als beim ersten Mal drehte sich ab diesem Zeitpunkt alles um meine Beine und das Thema Lipödem. Einerseits zwar erleichtert, dass es ein Krankheitsbild ist, für das ich nichts kann, andererseits voller Sorge: Wo wird die Reise hingehen? Schließlich ist es eine chronische, fortschreitende Krankheit. Wie schlimm werden die Beschwerden werden? Wie viel Umfang werde ich noch entwickeln? Wechseljahre, letzter hormoneller Schub und die Hoffnung, dass es vielleicht so bleibt. Wie wird das wohl mit der Kompression? Antientzündliche Ernährung soll gut sein! Was sollte ich an meiner Ernährung wieder umstellen? Auf keinen Fall möchte ich etwas falsch machen, bloß nichts machen, das das Lipödem begünstigt. Fragen über Fragen und niemand der sie mir beantwortet. Ich suche so viel Information wie ich nur kriegen kann. Die Gedanken von: „Ich habe unförmige, schwere Beine.“ wurden nun abgelöst von den Ängsten, den Sorgen, rund um das Thema Lipödem.
Ich recherchiere über die Ursachen des Lipödems, denn am liebsten möchte ich natürlich nicht nur die Symptome lindern, sondern die Ursache bekämpfen. Die erfahrenen Lipödemkämpferinnen unter euch wissen natürlich, dass aktuell Fachleute davon ausgehen, dass die Hauptursache die hormonelle Veränderung ist.
Für mich hat sich mein Fazit aus Teil 3 in all meinen bisherigen Lebensphasen bestätigt. Nicht nur die Hormone, sondern auch die Ernährung, Bewegung, die mentale Verfassung und damit auch der eigene Fokus der Gedanken, scheinen auf das Lipödem Auswirkungen zu haben.
Mittlerweile bin ich überzeugt, da der Mensch als System funktioniert, gibt es noch viele andere Faktoren, die zu beachten sind. Dazu in einem weiteren Blogbeitrag mehr.
Wie sind Eure Erfahrungen?
Liebe Grüße
Michaela
Beitrag teilen
© 2024 deinestarkeseite.de