Stephanie
Bloggerin
Spüren – für viele klingt dieses Wort wie ein esoterischer Luxusbegriff. Im Gegensatz zum „Fühlen“, was ja nun eines unserer essentiellen Sinne ist, scheint „Spüren“ oft als überbewertet angesehen zu werden. Sicher fühle ich den Boden unter den Füßen oder meinen Bürostuhl am Po, doch wie oft „spüren“ wir etwas? Der jetzt im Herbst aufkommende Wind, der uns die Haare zerzaust… – ja den fühlen wir. Wir ärgern uns vielleicht drüber und frösteln. Doch wie oft nehmen wir uns die Zeit mit dem Wind aufzuatmen, die Situation in Ruhe zu spüren. Meist ist diese mit Entspannung und einem gewissen Freiheitsgefühl verbunden. Wir haben verlernt zu spüren und „spüren“ nicht mehr, wann wir satt sind, welche Lebensmittel uns gut tun, welche äußeren Einflüsse uns stressen und vor allem haben wir verlernt unseren Körper zu spüren. Wie oft kehren wir unserer Aufmerksamkeit tatsächlich IN unseren Körper. Spüren nach, wie es uns geht oder wie unser Atem geht. Ich sag’s ja: esoterischer Luxus.
Jahre lang war mein Körper mein Feind. Wie es ihm ging, war mit egal. Schließlich fühlte ich mich wegen ihm ständig fehl am Platz und unsicher. Ich war zu groß, zu dick, nicht schön genug – ich hatte Dellen und Beulen, wo meine Klassenkameraden keine hatten. Und dieser dumme Körper reagierte auf die tausenden Diäten nie so, wie ich das wollte. Er wehrte sich. Doch ich war schon immer stur, wenn ich etwas wollte – also zwang ich ihn. Ich bestrafte meinen Körper mit weiteren Diäten, mit exzessiven Sporteinheiten und musste doch feststellen, dass mein Körper genauso ein Dickkopf ist, wie ich es bin. Er ließ sich nicht zwingen. Ich hasste ihn.
Seit meiner Lipödem Diagnose und der Beinkompression schließen mein Körper und ich aber wieder langsam Freundschaft. Mein Kopf hat eingesehen, dass mein Körper auch nichts dazu kann. Er leidet selber – unter der Lymphe, unter den Genen und unter den Hormonen. Ich habe meinen Körper jahrelang für etwas bestraft, für das er nichts kann. Er war auch nur Opfer der Umstände. Wir schließen also Frieden und ich pflege ihn viel mehr. Ich mache Sport, der mir gut tut, esse gesund, creme, pflege ihn und höre auf ihn – spüre nach – und schaue, dass es ihm gut geht.
Nun erreichte ich im Sommer einen weiteren Meilenstein in meiner Lipödem-Geschichte: die Armkompression. Für mich war klar: wenn es meinem Körper dann besser geht, trage ich sie fleißig! Die Arme sind leichter, ich habe weniger Schmerzen… alles ist gut. Es ist nichts anderes, als die Beinkompression. Doch ich habe mich geirrt.
Die Freundschaft zu meinem Körper pflege ich weiter, doch ich habe das Gefühl eingesperrt zu sein. Jetzt spüre ich in mich hinein, doch spüre ich meine Umwelt noch? Durch die Handschuhe spüren nur noch meine Fingerspitzen, was da draußen so vor sich geht. Ich spüre keinen Wind mehr auf den Armen, kein kaltes Metall mehr beim Festhalten in der U-Bahn. Ich habe nicht gedacht, dass mir das fehlen wird. So langsam habe ich das Gefühl, bei allem Nachinnenspüren, verliere ich das Gefühl nach außen. Hände sind etwas so Wichtiges um seine Umwelt zu „begreifen“ und plötzlich ist diese Haptik auf das Minimalste reduziert.
Seit fast genau einem Monat trage ich meine Armkompression von Juzo jetzt und ich möchte euch mit meinen Worten keinesfalls deprimieren. Ich arbeite daran, neue Wege zu finden, auch das Drumherum wieder zu spüren. Nachdem ich es geschafft habe, in mich hineinzuhören und werde ich es auch schaffen, wieder äußeres zu spüren. Es bedarf neuer Wege, denn ich möchte an dieser Welt teilhaben und nicht das eingepackte Etwas sein, dass das Gefühl für das Schöne da draußen verliert. Ich hätte niemals gedacht, dass mir Haptik so wichtig ist, aber so lernt man mit der Krankheit Dinge zu schätzen, die einem vorher selbstverständlich erschienen.
Yoga hilft mir viel beim Spüren – sei es nach innen oder nach außen. Habt ihr Tipps für mich? Achtsamkeitsübungen oder Bücher?
Alles Liebe,
Eure Stephie
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5 Responses
Ich habe auch Lipödem an Arme und Beine und trage Kompression. Allerdings gehen meine Strümpfe nur bis zu den Fuss bzw.Handgelenken . Bei mir muss das reichen, sonst könnte ich nicht arbeiten
Trage seit diesem Jahr Nau auch Armbestrumpfung und bin noch in der Findungsphase. Zurzeit habe ich Armstrümpfe und Handschuhe. Werde jetzt bei der Neuversorgung mal einen Bolero ausprobieren. Bis ich die Richtige Beinbestrumpfung gefunden habe, hat es auch gedauert. Mit der Beinkompression bin ich nun auf "Du und Du". Hat aber auch gedauert. Zurzeit finde ich die Kompression für die Arme nur lästig.
Liebe Stephie,
seit Mai trage ich auch Kompression an den Armen. Mir fehlt die Berührung mit meinem Mann, das Fühlen von vielen Dingen. Schlimm finde ich auch, dass ich mit den "Dingern" nicht stricken kann. Ich hatte immer eine schöne Schrift, doch mit den Handschuhen ist es nicht möglich. Ich schreibe gerne mit Füller, doch das kann ich mit diesen Handschuhen auch nicht, denn dann wären sie ruckzuck voller Tinte. Ich fühle mich eingeengt und manchmal habe ich auch das Gefühl, dass die Armkompression mein Denken behindert. Nein, mit der Armkompression habe ich mich noch nicht arrangiert. Wir existieren beide, nebeneinander, doch annehmen kann ich sie noch nicht.
Dann gibt es Tage, da ziehe ich sie morgens nicht an und nachmittags ziehe ich sie dann freiwillig an, weil meine Arme so weh tun, dass sie nach der Kompression schreien.
Nun hoffe ich nur, dass die Armkompression und ich Freunde werden … ich habe sie ja schon in meinen Farben, in dem Hellgrün und in Rot … aber leichter wird es dadurch leider auch nicht.
Liebe Grüße
Ich war heute beim Arzt um ein Rezept für die Armkompri zu holen – da ich jetzt auch Schmerzen in den Armen habe.Kommentar der Ärztin: Das haben wir noch nie verschrieben.An den Armen nützt das nichts.
natürlich nützt das was. Ich trage sie an manchen Tagen auch nur einseitig weil mir nur ein Arm Probleme bereitet. Es hilft dann auf jeden Fall gegen die Schmerzen.