Na, wie schaut es aus mit der Selbstliebe? Schwierige Frage? Für mich würde ich sagen, dass ich auf dem Weg bin. Manchmal ist es ein Selbstläufer, manchmal läuft es eher rückwärts. Seit der Lipödem-Diagnose habe ich durchaus Fortschritte gemacht. Auch hier gilt wohl: Der Weg ist das Ziel.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
es war einer dieser schönen Spätsommertage. Ich habe im Homeoffice gearbeitet und zeitig Feierabend gemacht, mein Einkaufskörbchen geschnappt und wollte mit dem Fahrrad losfahren zum Supermarkt um die Ecke. Als ich mein Fahrrad aufschloss rief ein Junge im Teenageralter von gegenüber auf dem Spielplatz seinen Freunden zu: Da ist eine dicke Frau. Ohne nachzudenken und ohne irgendwie reflektiert oder „erwachsen“ zu sein, rief ich zurück: Ich bin fett, aber nicht taub. Der Junge schaute mich ungläubig an und stammelte irgendwas, dass er gar nichts gesagt hätte. Genau weiß ich es nicht mehr.
Generell halte ich mich für emotional und psychisch stabil, insgesamt ausgeglichen. Mich verletzen solche Aussagen trotzdem. Sie werfen mich auf meinem Weg der Selbstliebe und Selbstakzeptanz zurück. In guten Zeiten einen Millimeter, an schlechten Tagen mehrere Meilen. Ich weiß um mein privilegiertes Leben, um das viele Glück, welches mich begleitet und dennoch gibt es auch bei mir Zeiten, in denen mein Nervenkostüm dünn ist. So war es an diesem Tag. Die letzten Monate waren aufreibend. Ein ungeplanter Hauruck-Umzug, eine Corona-Infektion und die Sorge zwei schwangere Freundinnen vielleicht angesteckt zu haben. Umstrukturierungen und unzählige Neuerungen im Job, viele schwierige Gespräche und Diskussionen als Betriebsrätin und unausgegorene Entscheidungen im privaten Umfeld. Kurz gesagt: ich fühlte mich gerade an diesem Tag, nach einer anstrengenden Woche, unwohl und nicht in meiner Mitte.
Auf dem Spielplatz erregte meine Aussage Aufsehen. Ein Teenagermädchen sprach mich über die Straße hinweg an und fragte, was passiert ist. Ich habe ihr die Situation in zwei Sätzen erklärt. Ruhig war ich dabei nicht. Das Mädchen sagte an den Jungen gewandt, dass sowas nicht geht und dass sowas nicht ok ist. An mich gerichtet sagte sie: Sie sind wunderschön. Lassen Sie sich von niemanden etwas anderes sagen. Ich winkte ab, rief irgendwas wie „passt schon“ oder „alles ok“, schnappte mein Fahrrad und fuhr zum Einkaufen. Meine Beine zitterten. Eigentlich hätte ich stolz auf mich sein sollen, weil ich endlich mal schnell genug gekontert habe und doch fühlte ich mich getroffen und war verletzt. Dann war da noch was anderes. Ich war gerührt von der Reaktion des Mädchens.
Als ich vom Einkauf zurückkam, war die Gruppe Teenager noch auf dem Spielplatz. Das Mädchen von vorher sah mich zurückkommen und sprach mich nochmal an. Sie sagte, dass ich es nicht persönlich nehmen darf und mir daraus nichts machen soll. Ihre Freundin kam dazu und sagte: Jeder Mensch ist perfekt so wie er ist.
Ich war beeindruckt. Zwei so junge Mädchen, mitten in der Pubertät, haben eine solche Größe, kommen nochmal auf mich zu, um mir Mut zu machen und sich auf ihre Art für das Verhalten ihres Freundes zu entschuldigen. Mir standen die Tränen in den Augenwinkeln, meine Stimme zitterte. Ich sagte den beiden, dass ich sie großartig finde, dass ich großen Respekt davor habe, dass sie sich eingemischt haben und dass mich, egal wie alt ich bin, Aussagen über meinen Körper immer verletzt haben und es auch immer werden.
Das eine Mädchen schaute an sich herunter und sagte dann, dass sie das kennt. Sie entspricht ja auch nicht der Norm. Ich war erschrocken, so ein hübsches, junges Mädchen muss sich Sprüche anhören wie ich als 40jährige – adipöse Frau? Das finde ich traurig, wirklich traurig.
Das zweite Mädchen sagte daraufhin einen ebenfalls sehr weisen Spruch: Wir müssen anfangen uns selbst hübsch zu finden, dann wird alles besser.
Ich verabschiedete mich von den beiden. Immer noch mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen, wünschte ihnen alle Gute und dass sie bitte unbedingt so bleiben sollen, wie sie sind.
War der Spruch des Jungen so schlimm? Rational war es nur eine Feststellung. Mit etwas Abstand betrachtet gibt es definitiv schlimmere Sprüche, aber er hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich weiß, dass ich dick bin. Das sehe ich im Spiegel und das sehe ich auf der Waage. Das braucht mir niemand zu sagen. Ich verdränge das nicht. Genauso weiß ich, dass ich meinem Körper mit meinem Übergewicht nichts Gutes tue, im Gegenteil.
Dennoch ist es mein Leben und mein Körper. Darüber darf niemand urteilen. #stopbodyshaming
Mädels, Ihr seid wunderschön! Vergesst das nicht!
Alles Liebe,
Britta
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9 Responses
Einfach nur „Danke“
Anni Sp. 73 Jahre 24.10.2021
Heute weiß ich, dass auch bei mir das Lipödem in der Pubertät begann. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass ich beim Ballspiel immer als Letze in das Team gewählt wurde, obwohl ich ganz geschickt war. Später, wenn ich mit Freundinnen oder Kolleginnen unterwegs war, wurde immer nur mit den Schlanken gesprochen. Erst als ich durch sehr gute berufliche Qualifikationen auffiel, wurde ich als erste in Arbeitsgruppen gewählt, was mich immer mehr anspornte, durch Leistung aufzufallen. Das Lipödem hat mich zu dem Menschen gemacht der ich heute bin und das ist gut so, wenn auch meine dicken Oberschenkel und Kniee immer mehr schmerzen und Probleme bereiten und mir andere nachschauen. Wenn beim Kaffeeklatsch Krankheiten das Thema sind, versuche ich über das Lipödem aufzuklären, was manche Mitmenschen in Erstaunen versetzt.
Ich wünsche allen Betroffenen positive Erfahrungen. Anni
Ein tolles Verhalten der Mädels… aber sie haben „nur“ die Wahrheit gesagt💕👍🏻
Sehr berührend Britta. Du bist eine tolle starke Frau mit einem großen Herz und einem wunderbaren Schreibtalent.
Vielen Dank liebe Britta, dass du diese Erfahrung mit uns teilst und auch Danke für deine Sicht der Dinge. LG Michaela
Liebe Britta,
vielen Dank für Deinen Bericht. Ich kann dich soooooooooo gut verstehen. Ich kämpfe auch jeden Tag mit mir und meiner Figur.
Wir waren Fastnacht feiern, als man das noch durfte, sind ja alles Mainzer Meedscher und wir waren alle Bienchen, als ich in einer Altstadkneipe war und gehört habe, wie ein Typ über mich sagt, guck mal da ist eine Hummel.
Da hilft kein Zureden von Freundinnen, der Tag war für mich gelaufen. Das tut weh.
Ich hoffe, solche blöden Bemerkungen über andere Menschen hören irgendwann auf.
GLG Silke
Danke, dass du dieses Erlebnis mit uns teilst. Es macht Mut und zeigt dass es auch anders denkende gibt.
Ich versteh Dich so gut, denn auch mir fällt es mit der Selbstannahme nicht so leicht. Aber vielleicht hilft mir das nächste Mal das Kommentar der Teenager. LG
Toller Artikel und tolle Mädchen.
Wie toll, dass Du sie mit uns teilst…
Ja liebe Britta, Du hast wirklich ein tolles Schreibtalent !!!
Danke auch von mir für Dein teilen dieses Erlebnisses – ich glaube, das haben wir alle schon (mehrfach-leider) erlebt
LG Evelyn