In diesem Beitrag werde ich sicher polarisieren. Bitte denke daran, dass das hier meine persönliche Erfahrung und Wahrnehmung ist. Auch darf und muss jeder seinen eigenen Weg gehen und für sich entscheiden, womit er sich wohlfühlt. Solltest Du jedoch das Gefühl haben, alleine nicht den für Dich richtigen Weg zu finden, dann bitte nimm Hilfe an! Das ist keine Schwäche, sondern beweist Mut!
Hat man mich vor der Diagnose Lipödem sowie auch noch zu Beginn gefragt, ob ich häufig Diäten ausprobiert habe, habe ich dies stets verneint. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das bloß verdrängt oder wirklich nicht so wahrgenommen habe.
Ich erinnere mich an Videoabende in der Jugend, in der die Filme eher Nebensache waren und es uns mehr ums Zusammensein, Essen und Trinken ging. Dabei waren Süßigkeiten, Softdrinks und auch Alkohol auf dem Tisch. Salat oder stilles Wasser suchte man vergebens. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, denke ich tatsächlich nur an die Wochenenden.
Dass ich unter der Woche nach vielen Mahlzeiten Mittel zum Abführen nahm, auch mal Watte aß, um den Bauch zu füllen und eher zur Zigarette griff als einen Apfel zu essen sobald ich Hunger hatte, habe ich sehr lange sehr tief in meinem Unterbewussten vergraben.
Auch später, mit Mitte bis Ende 20, habe ich jede Menge Ernährungsweisen ausprobiert. Low Carb, Paleo, Trennkost, diverse „Ein-Gemüse“-Diäten. Doch länger als 6 Wochen habe ich keine Ernährungsweise ausgehalten. Immer hatte ich das Gefühl mir fehle etwas. Und sei es nur der Geschmack von Sahne im Salat.
Mit 29 fand ich endlich Spaß am Laufen. Das erste Mal, dass ich freiwillig Sportschuhe anzog. Aber direkt musste ich wieder in die Vollen gehen. 5–6-mal die Woche, noch vor der Arbeit, lief ich 30 Minuten. Besuchte sonntags einen Lauftreff, um auch technisch gut zu laufen. Nahm an Volksläufen teil. Immer die Zeit im Blick. Kontrolle der eigenen Leistung, Vergleiche mit anderen Läufern und Läuferinnen. Alles drehte sich nur um Zahlen. Auch mein Essen trackte ich in dieser Zeit. Jede noch so kleine Mahlzeit wurde analysiert und in einer App eingetragen. Am Handgelenk, natürlich, eine Uhr, um alle Vitalwerte zu jeder Zeit zu messen.
Zu Beginn hatte ich die Diagnose noch nicht, lief also ohne Kompression. Rückwirkend betrachtet glaube ich, dass das richtig schlecht für mein Gewebe war und dem Lipödem mehr Raum verschafft hat um zu wachsen. Da ich jedoch dann auch die 30 überschritten habe, eine Hüft-OP hatte und auch weiterhin immer mal wieder verschiedene Diäten ausprobiert habe, ist es schwierig, den genauen Auslöser für den Lipödem-Schub ausfindig zu machen. Doch diese – für mich persönlich massive – Umfangsvermehrung an den Beinen hat dazu geführt, dass ich mich noch mehr auf die Zahlen fixiert habe. Insbesondere auch, da diese immer schlechter wurden. Hatte ich in meiner besten Zeit eine Pace von 5:27 Minuten pro Kilometer, so kam ich zuletzt nur noch auf 7:48 Minuten. Spaß hatte ich auch keinen mehr beim Laufen.
Und wieder muss ich meine Erinnerungen überdenken. Hatte ich je Spaß beim Laufen?
Ab dem Moment, in dem ich begann meine Zeiten zu tracken hörte der Spaß nach und nach auf. Kurz nach dem Laufen gab es je ein Glücksgefühl. Ein kurzes Hoch, weil ich etwas für mich und meine Gesundheit getan habe. Und die Hormone sprießen ja nun auch durch Sport von alleine.
Doch spätestens nach dem Duschen ging es ab an den Laptop, Zeiten vergleichen. Da ich meistens die gleichen Strecken lief konnte ich genau sehen wann ich wo war und auf den Punkt genau vergleichen, wie schnell ich beim letzten Mal an der gleichen Stelle war.
Für mich war das ein unglaublicher Druck. Insbesondere, da immer mehr Profile online gingen, die eine „schlechtere“ Ausgangsposition hatten als ich, aber bessere Ergebnisse lieferten. Es wird sich gefeiert, dass man wieder den inneren Schweinehund besiegt hat (also gegen sich selbst einen Kampf gewonnen hat). Es wird sehr offen kommuniziert, dass man sich furchtbar schlecht, fast depressiv fühlt, wenn man beispielsweise aufgrund einer Erkältung nun schon drei Tage nach Gang keinen Sport machen konnte. Ist das dann wirklich gesund? Ist das der Zustand, der erstrebenswert ist?
Startet man beispielweise damit Poker zu spielen, gewinnt zu Beginn, vielleicht auch noch Geld und versucht dann immer häufiger zu spielen und mehr zu gewinnen und fühlt man sich dann schlecht, wenn man plötzlich verliert oder einfach nur keine Zeit mehr hat zu spielen, dann sprechen wir von Spielsucht. Da käme sicher niemand auf die Idee dies bei Instagram & Co so offen mitzuteilen, weil man selbst schon wüsste, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Warum also feiern wir dieses plötzlich exzessive Sportbedürfnis bei Menschen, die es vorher nicht hatten?
Meine Beiträge zu verschiedenen Sportarten sind ehrlich. Jeden habe ich in einem wirklichen Hoch-Moment geschrieben und ich habe mich wohl damit gefühlt. Ich bin froh, auf diese Beiträge und meine Erinnerungen zurückgreifen zu können. Und auch war mir damals schon bewusst, dass ich nicht nur „trotz Lipödem“, sondern einfach als Kathi gute Leistungen erbracht habe. Und noch bewusster ist mir, dass ich wirklich tolle Erfahrungen gesammelt habe!
Ein Staffelmarathon in Bonn, der Stadt in der ich jahrelang zu Hause war. Mein erster Lauf in Roth – DER Stadt des Triathlons. Mein erster eigener kleiner Triathlon – und die Erkenntnis, dass ich in einem See alleine verloren gehen würde. Und das schönste Erlebnis: das 24-Stunden-Rad-Rennen auf dem Nürburgring, zusammen mit meinem Partner, meinem Bruder und dem Vater unserer Patenkinder. Und bei all den Erinnerungen spielt die Zeit überhaupt keine Rolle.
Für unsere Gesundheit ist Bewegung und ausgewogene Ernährung wichtig. Dies minutiös zu erfassen jedoch nicht. Inzwischen achte ich nicht mehr auf Zeiten. Wenn ich joggen gehe schaue ich nicht mehr auf die Uhr wenn ich loslaufe und ankomme. Beim Wandern geht es mir nicht darum besonders weite oder anspruchsvolle Strecken zurückzulegen, sondern die Ruhe in der Natur zu erleben. Essen genieße ich wenn es schmeckt und höre lieber auf meinen Körper, ob er nun lieber Salat oder Schokolade haben möchte.
Es ist vollkommen okay, wenn Du keine Sportskanone bist. Genauso ist es in Ordnung, wenn Du Dich täglich im Fitnessstudio austobst. Achte nur bei dem was Du tust – oder eben nicht tust – auf Deine mentale Gesundheit. Dein innerer Schweinehund ist nicht Dein Feind, sondern genauso Dein Begleiter wie das Lipödem, sowie auch die Motivation etwas für Dich zu tun und wie auch das Bewusstsein, Deinen eigenen Weg gehen zu dürfen.
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du Deinen Weg findest und in den sozialen Medien wirklich nur Inspiration und keinen Druck findest!
Deine Kathi
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Eine Antwort
Hallo Kathi, trägst du immer immer Flachstrick Kompression beim Sport? Ich bin ja noch neu hier, habe erst eine Versorgung, die zweite ist unterwegs und ich trage seit Diagnose vor n paar Wochen konsequent alles, was irgendwie zusammenhält. Ich hatte vorher schon zum Training und Radfahren diverse Sportleggins mit leichter Compression, alles, was fester ist und mit weniger Elastan.Und habe noch eine forming Leggings gekauft, die auch gut zusammenhält. Ich bin 54 und meine Diagnose ist Stadium1-2.