Liebe Leserinnen, liebe Leser,
für uns als Lipödem- und / oder Lymphödem-Patientinnen ist das Selbstmanagement ein Kernelement unserer Therapie. Jede von uns erarbeitet sich ihr Selbstmanagement, ihre Routinen und Abläufe. Irgendwann gehören diese zu unserem Alltag dazu, die kleinen und größeren Dinge.
Es hat einige Zeit gedauert, bis die Selbstmanagement-Maschine bei mir rund lief, bis alle Komponenten organisiert waren und sich in den übrigen Alltag einfügen ließen und sich Routine einschlich. Grundsätzlich schnurrt diese Maschine inzwischen wie ein Kätzchen.
Manchmal ist es dann aber so, als wenn jemand Sand in die Maschine streut und plötzlich läuft das Selbstmanagement nicht mehr reibungslos, die Routinen geraten aus dem Takt. Eine solche Phase habe ich grade hinter mir.
Seit mehr als sieben Jahren trage ich konsequent die Kompressionsversorgungen an den Beinen. Die Tage, an denen ich keine Versorgung getragen habe, kann man an zwei Händen abzählen. Meine Kompris haben mal besser und mal schlechter gepasst und natürlich habe ich Lieblingskompris. Über die Jahre habe ich Erfahrungen gesammelt und meine Versorgungen von Mal zu Mal zusammen mit den Mitarbeiter*innen im Sanitätshaus optimiert. Immer mit dem Ziel einer gut sitzenden und therapeutisch sinnvollen Versorgung vor Augen. Den Status „perfekt“ hat bislang keine Versorgung erreicht, „gute“ Versorgungen gab es durchaus schon einige.
Und plötzlich das: meine Versorgungen, egal ob nagelneu oder schon ein paar Monate alt, passen nicht mehr. Sie rutschen und bilden schmerzhafte Falten am Unterschenkel. Eine monatelange Odyssee beginnt.
Als erstes ging ich für mich in die Problemanalyse:
• meine Umfänge hatten sich nicht verändert
• mein Gewicht war gleich
• gleicher Hersteller
• gleiche Kompressionsklasse
• gleiche Qualität des Gestricks
Der nächste Schritt war die „Fleischbeschauung“ am lebenden Objekt im Sanitätshaus durch die Sanifee. Der Termin brachte keine offensichtlichen Fehler ans Licht. Beim Hersteller konnten nach der Einsendung mehrerer Versorgungen keine Fehler in der Produktion oder in den Maßen gefunden werden.
Meine Ärztin verordnete mir turnusmäßig eine neue Versorgung. Wir versuchten es mit einem Re-Start. Alte Messblätter weg, nichts übernehmen, alles komplett neu ausgemessen. Als die Versorgung endlich ankam, passte sie nicht. Ich war unglücklich, fühlte mich in der Versorgung fremd und eingesperrt, die Falten am Unterschenkel waren nach kurzem Tragen genauso da wie vorher. Die neue Versorgung wurde eingeschickt und ich musste vorläufig meine älteren Modelle weitertragen.
Nach der Anpassung der Versorgung war diese immer noch nicht ideal und ich der Verzweiflung langsam nahe. All die investierte Zeit, unzählige Fahrten ins Sanitätshaus, die Telefonate, die ganzen Emails, die Gespräche, freche und wenig empathische Rückmeldungen fraßen so langsam an meinen Nerven. Wir drehten also noch eine weitere Runde. Nochmal ausmessen. Nochmal warten. Nochmal einschicken. Schlussendlich in einem anderen Sanitätshaus.
Langsam, nach Monaten, war ein Silberstreif am Horizont erkennbar. Ich hatte eine tragbare Versorgung. Nicht ideal, nicht gut, als Schulnote vielleicht eine 3-.
Nachdem ich zur zweitletzten Behandlung auf meinem MLD-Rezept in der Physiopraxis war, habe ich, wie immer, meine Krankenversichertenkarte und einen kurzen Brief mit der Bitte um Zusendung einer neuen Verordnung in einen Briefumschlag gesteckt und an meine Phlebologin geschickt. Ihre Praxis ist leider nicht grade um die Ecke. Diese Vorgehensweise hat über Jahre gut funktioniert. Normalerweise habe ich innerhalb von einer Woche meine Karte zurück und die neue Verordnung vorliegen. Dieses Mal kam der Brief in der Praxis erst nach gut drei Wochen an.
Zuvor hatte ich natürlich schon rumtelefoniert, weil mir das komisch vorkam. Da ich in diesem Quartal noch nicht in der Praxis gewesen war, konnte die Ärztin mir ohne die GKV-Karte kein Rezept ausstellen.
Als mein Brief dann endlich in der Praxis angekommen war, war ich im Urlaub in Norwegen, sonst hätte ich das Rezept trotz längerer Anfahrt persönlich abgeholt. Sicher ist sicher. Da die Abholung nicht möglich war, hat die Arztpraxis Rezept und Gesundheitskarte per Post an mich geschickt. Und welcher Brief ist nie bei mir angekommen? Genau dieser. Also brauchte ich eine neue Krankenversichertenkarte. Eigentlich keine große Sache, dachte ich jedenfalls, ein Anruf bei der Krankenkasse und die Karte kommt innerhalb von ein paar Werktage per Post. In diesem Fall scheitert es nicht an der Post, sondern an nicht lieferbaren Chips. Meine Krankenkasse kann derzeit keine Karten ausgeben, da die notwendigen Chips nicht lieferbar sind.
Die in der Zwischenzeit durchgeführten Lymphdrainagen habe ich nach einigen Diskussionen mit der Physiopraxis privat zahlen „dürfen“. Auch das hat einige Emails, Telefonate und gutes Zureden erfordert. Manchmal, nein meistens, geht mir sowas leicht von der Hand. In diesen Wochen habe ich diese Aufgaben als Belastung empfunden, immer wieder mit der Frage im Kopf: Warum nur?
Spätestens an diesem Punkt war ich müde, mürbe und durch. Ohne das Lipödem und Lymphödem wäre dieser Frust nicht da. Mein Selbstmanagementsystem funktioniert nur, wenn ich eine gut sitzende Flachstrickversorgung habe. Ohne diese ist der therapeutische Effekt nicht gewährleistet, ohne diese sind Bewegung und Sport für mich nicht möglich. Ohne manuelle Lymphdrainage ist mein Alltag beschwerlicher, anstrengender. Dauerhaft kann ich die MLD nicht aus privater Tasche zahlen. Das sprengt meinen finanziellen Rahmen.
Ein anderer Bestandteil des Selbstmanagements trat an dieser Stelle mehr in den Vordergrund. Wellness und Entspannung. Ich habe mir bewusst mehr Zeit für mich genommen, mich versucht von den schlechten Gedanken zu lösen und meinen persönlichen Leitspruch wieder stärker zu verinnerlichen:
Schritt für Schritt werden sich Lösungen finden. Der Sand wird langsam aus der Selbstmanagement-Maschine rieseln und das System wieder runder laufen.
Bei meinem halbjährlichen Termin bei der Phlebologin setzte nochmal Ernüchterung ein. Die Ödeme in meinen Beinen und auf den Füßen waren im Vergleich zum letzten Termin größer geworden. Die Ärztin schlug vor, es mit einer anderen Kombination der Flachstrickversorgung zu probieren. Nun gilt es also wieder von vorne anzufangen. Wieder komplett ausmessen und ausprobieren. Es wird wieder dauern, aber ich bin Optimist. Das wird jetzt was.
Kennt Ihr solche Phasen auch, in denen es nicht läuft? Wenn es irgendwann einfach zu viel wird? Teilt Eure Erfahrungen gerne hier in den Kommentaren, auf Instagram und Facebook.
Alles Liebe
Eure Britta
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8 Responses
Oh man. Das hört sich wirklich nach einer sehr beschwerlichen Zeit an und ich hoffe, dass du bald wieder in dein Selbstmanagement kommst und es wieder ruhiger wird.
Ich selbst bin gerade noch ganz am Anfang und kann alles sehr gut nachvollziehen.
Vielen Dank für deine Erzählung!
Manchmal denke ich: Bin ich die Einzige der immer wieder ein Puzzleteil fehlt bzw nicht korrekt ist oder Steine in den Weg gelegt werden??
Dank deines Beitrages geht es mir besser. Ich bin nicht alleine. Da kommen mir die Tränen. Es tut gut nicht alleine zu sein mit dieser Last /den Steinen /den Herausforderungen.
Danke für eure Seite und eure Berichte…. Diese helfen mir SEHR dabei nicht den Mut und das Durchhaltevermögen zu verlieren!!!
Danke für diesen Beitrag.
Mit ging es in letzter Zeit ähnlich.
Nachdem ich umgezogen bin brauchte ich alles neu: Phlebologen, Sanitätshaus, Kompressionsversorgung war auch kaputt…und es war unendlich beschwerlich. Ich habe zwischenzeitlich gedacht, dass ich das nicht mehr schaffen kann. Habe geheult, geschrien, geflucht…und dann hab ich mich berappelt, hab mich in die kaputte Strumpfhose gequetscht und habe abgearbeitet. Wirklich gearbeitet.
Jetzt läuft es wieder besser, noch nicht perfekt, aber besser.
Nie den Mut verlieren. 💪
Wir sind stark!
Liebe Grüße!
Ja, ich kenne solche Phasen auch. An guten Tagen stecke ich das locker weg und verbuche es als, kann ja mal vorkommen….aber an schlechten Tagen, wenn alles zusammenkommet, bricht auch bei mir alles zusammen und ich möchte alles hinschmeißen. Stelle mich in Frage und hasse meinen Körper. Aber all das nutzt nix, ohne Disziplin geht es nicht.
Perfekt passende Kompression habe auch ich nicht, irgendwas stört immer.
Sicher bin ich immer noch nicht, ob offene Fußspitze oder geschlossen. Mich würden andere Meinungen und Erfahrungen dazu interessieren.
Und Kompression beim Sport. Das geht bei mir gar nicht! Ich kann mich nicht auf die Sportübungen einlassen, weil es überall am Körper drückt, kneift, rutscht. Hat jemand Alternativen oder Vorschläge?
Von der Firma Lipoelastic gibt es eine active Leggings. Das ist eine Sporthose in KKL2, die bei mir super sitzt und ich bin total beweglich, wie in einer normalen Sporthose.
Hallo
Ich kenne das auch sehr gut. Ich wurde von einem auf den anderen Tag aus meiner Massage Praxis geworfen. Da habe ich noch gedacht so viele Praxisen ich finde bestimmt schnell was neues. Ein Monat keine Massage nur den Lymph Automaten. Ende vom Lied. Fünf Wochen krank geschrieben weil ich nicht mehr laufen konnte. Jetzt habe ich eine neue Praxis die einfach toll ist. Hab eine weitere Reha beantragt und Reha Sport begonnen. An einigen Tagen denke ich warum kämpfst Du überhaupt noch. Es hat keinen Zweck. Du läufst gegen Windmühlen gegen an. Ich danke dir für deine Worte. Du bist super. Hab einen schönen Abend
Liebe Britta,
Vielen Dank für deine offenen Worte! Du sprichst mir aus der Seele! Ich leide auch an einem Lip-Lymphödem Stadium 3 und trage auch nach 5 Liposuktion (30liter weniger Fett) an meinen Armen und Beinen Kompression! Seid der letzten Kompression bekommen wir leider keine gute Versorgung für die Beine mehr hin! Man kommt sich langsam schuldig vor weil alle langsam die Geduld verlieren…. – es ist doch „nur eine Hose“. Richtig – für mich aber Lebenswichtig!!!!
Ich verstehe es leider nicht! Mir rutscht die Strumpfhose so am Oberschenkel das ich Zuviel Kompression in den Kniekehlen habe (Arthrose 4.Grades) und teilweise durch den Mensch an Unterarmgehstützen laufen muss! Ich wünsche mir ein bisschen von deiner Kraft es mit Geduld und Kraft hinzunehmen!
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute
Diana
Hallo Britta, auch ich kenne solche Fälle aus meiner Praxis und muss sagen dass ich es ganz, ganz toll finde dass du weiter machst. Man kann sehr gut verstehen wenn jemanden solche Steine in den Weg gelegt werden kann man auch aufgeben. Ich möchte dir und all den Frauen die solche Dinge erleben ein großes Lob aussprechen. Gerade solche starken Frauen motivieren uns Therapeuten immer wieder weiter zu machen. Bleibe dran, mache weiter so und bleib der Mensch der du bist mit und ohne dicke Beine.
Liebe Grüße